Nachtigall, Raben und Geier
FESTSPIELE / LIEDERABEND CHRISTIAN GERHAHER, GEROLD HUBER
06/08/14 Nachtigall. So heißt jene Auszeichnung, die dem Bariton Christian Gerhaher nach seinem Liederabend am Dienstag (5.8.) im Haus für Mozart verliehen wurde. Ein winziges goldenes Vögelchen (entworfen von Gerhard Richter), das optisch die Dimensionen im Haus für Mozart wieder ins Maß gerückt hat.
Von Reinhard Kriechbaum
Zuvor nämlich hätte man glatt vergessen können, wo man sitzt. Wollte man Gerhahers Lieder-Singen beschreiben, dann könnte man ja sagen: Er versteht es, diese Kleinformen auch im riesigen, für das Genre denkbar unpassenden Raum so zu gestalten, dass man als Hörer alles um sich herum vergisst. Die Dimension des Hauses, sogar die Sitznachbarn. Da fühlt man sich unmittelbar angesprochen, vermeint in denkbar intimen Szenen dem Interpreten ganz allein gegenüber zu sitzen.
Wie er das macht? Unter anderem, indem er sich einfach zu keinem Forte mitreißen, schon gar nicht dazu zwingen lässt. Prometheus mag ein gewaltiger Kraftlackel gewesen sein in den Vorstellungen der antiken Mythologie. Wie Gerhaher diese Figur anlegt, ist er kein Muskelprotz, sondern ein wortkräftiger Rhetoriker. Mit Zeus, der seiner Meinung nach so überhaupt nichts für Prometheus‘ Fortkommen geleistet hat, hat dieser Mann eine Rechnung offen und er hält sich nicht zurück, wenn er dem Göttervater die Kümmerlichkeit des Gott-Seins vorhält: „Ihr nährt euch kümmerlich von Opfersteuern und Gebetshauch…“
Das kommt gefährlich, weil eben höchstens halblaut. Aber mit argumentativer Scharfzüngigkeit, und doch in so weiches Timbre eingebettet. Immer wieder verblüfft, wie Christian Gerhaher die Konsonanten abspricht, wie er die Kantilene scheinbar zugunsten deklamatorischer Deutlichkeit aufbricht – und doch wird jede Phrase gerundet, weil Melodien für ihn eben und vor allem Kopf-Sache sind. Die gebrochene, aber nicht zerbrochene Kantilene, sie wird vielleicht als Markenzeichen eingehen in den von Gerhaher heute so nachdrücklich geprägten Liederstil.
In Gerold Huber hat Gerhaher längst den kongenialen Mitgestalter gefunden: Wie dieser Pianist den unerbittlichen Zeit-Lauf „An Schwager Kronos“ herauszeichnet, sucht seinesgleichen. Und man könnte sich nicht satt hören an komplexen verdichteten pianistischen Miniaturen, etwa der Einleitung zu „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“.
Das waren nun bekannte Dinge. Gerhaher und Huber greifen aber gerne zu den hinteren Büchern in der Gesamtausgabe der Schubert-Lieder. Da nimmt die Vertrautheit der Gesänge rapid ab, aber es findet sich genug, das in den Konzertsaal zu bringen sich lohnt. „An den Mond“ (D 296) eben in der zweiten, kaum einmal gesungenen Vertonung. Oder die im Bänkelsängerton fast frivol exekutierte „Höchste Gunst“ und die "Hoffnung", die die beiden daherkommen lassen wie ein frommes evangelisches Kirchenlied.
Auf Goethe-Vertonungen hin hat Christian Gerhaher seinen Schubert diesmal durchforstet, und dazu hat er weitere Goethe-Vertonungen aus der Feder von Wolfgang Rihm gestellt. Das ist nicht nur aus literarischen Gründen ergiebig – immerhin ist Rihm auch ein „Liederfürst“ unserer Tage. Und obendrein einer, in dessen Musik manch schattige Affinität zu Schubert aufspüren lässt. Gerhaher, Gerold Huber, Wolfgang Rihm: Da sind eindeutig Wesensverwandte am Werk, die mit unaufdringlichen Torsionen Tiefenschichtiges nach oben hieven.
Ein ganz sperriger Zyklus ist die 2012 komponierte „Harzreise im Winter“, die Gerhaher gar als österreichische Erstaufführung vorgestellt hat: „Dem Geier gleich, / der auf schweren Morgenwolken / mit sanftem Fittich ruhend / nach Beute schaut, / schwebe mein Lied…“ Keine Spur von Pathos, bei Rihm ebenso wenig wie drumherum bei Schubert.
Der Geier ist in Gerhahers Schilderung ein elegantes Federvieh, die Raben in ihrem „geselligen Flug“ sowieso. Und die Nachtigall? Die kam im Programm nicht vor. Die FAZ-Feuilletonchefin Eleonore Brüning hat sie mit aufs Podium gebracht und Gerhaher überreicht. Er ist heuer Träger dieses Sonderpreises der Deutschen Schallplattenkritik.