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Wahnsinn diesseits und jenseits der Front

FESTSPIELE / LESUNG / WERD‘ ICH LEBEN…

06/08/14 Wie vergegenwärtigen, was vor hundert Jahren in Europa an Ungeheuerlichem in Gang gekommen war? Vielleicht leistete der Abend unter dem Motto „Werd‘ ich leben, werd‘ ich sterben?“ mit Soldatenliedern und Zitaten aus Feldpostbriefen am Dienstag (5.8.) im republic mehr als eine vielstündige Aufführung im Landestheater.

Von Werner Thuswaldner

Aus Anlass des Kriegsausbruchs vor hundert Jahren ist eine Menge kluger Bücher erschienen, die neue Erkenntnisse darüber bringen, wie es so weit hatte kommen können. In den Büchern steht, wie die Politik und wie die hohen Militärs agiert haben. Ihnen ist es gelungen, eine unvorstellbare Welle der Begeisterung für den Krieg auszulösen. Uns ist es unerklärlich, warum man nicht zwischendurch einen Moment lang über die Konsequenzen nachgedacht hat. Den Jüngeren erscheint die Zeit heute ohnehin so fern wie das Mittelalter.

Die Dramatik für den Einzelnen von damals wird am krassesten in den Briefen sichtbar, die zwischen der Front und der Heimat hin und her gingen. Cornelius Obonya, der Jedermann-Darsteller, und Sven-Eric Bechtolf, der Verantwortliche für das Schauspiel, gestalteten gemeinsam mit dem Musiker Markus Kraler einen Abend mit Dokumenten, die im Stande sind, schlagartig und unmittelbar zu beleuchten, was es hieß, wenn jemand „sein Leben dem Vaterland opferte“.

Bechtolf las aus erschütternden Feldpostbriefen vor, Obonya sang, von Kraler auf dem Klavier, dem Akkordeon oder dem Bass begleitet, Soldatenlieder. Darunter waren zwar Marschlieder, die gewiss dazu da waren, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu steigern, aber keine Lieder, die blindwütige Kampfbereitschaft auslösen sollten. Gedanken an daheim werden darin im Volksliedton beschworen, Wünsche und Hoffnungen an das Leben danach artikuliert und die Angst vor dem Tod beschwichtigt. Vor der Gefahr, als Kitsch abgetan zu werden, bewahrt diese Lieder die Tatsache, dass sie mehr oder weniger unbeholfen Ausdruck für große Tragik suchen. Cornelius Obonya fand für jedes einfühlsam den adäquaten Ausdruck. Dass dies Bemühungen waren, mit Mitteln der Kunst Extremsituationen zu „bewältigen“, machte Markus Kralers Musikbegleitung deutlich.

Was Sven-Eric Bechtolf vorlas, ging unter die Haut. Die meisten Briefzitate stammten von Soldaten, die wenig über zwanzig waren. Grauenvolle Details vom Geschehen auf den Kriegsschauplätzen in Frankreich kamen zur Sprache. Nackte Verzweiflung einerseits, übermenschliche Disziplinierung andrerseits. Verwundung, Verstümmelung, Tod. Das waren Eindrücke von der einen Seite der Front. Auf der anderen, der französischen, waren sie nicht anders. Darüber staunte ein junger Soldat, dem französische Briefe in die Hände fielen. Nichts kann die Sinnlosigkeit des Kriegs schärfer bezeichnen.

Bechtolf las die einzelnen Briefe vor und meist folgte der Nachsatz mit der genauen Angabe, dass der Soldat wenig später zu Tode gekommen war. Am drastischsten hörte sich jener Brief an, der in der Mitte abbrach und mit der Mitteilung eines Kameraden ergänzt wurde, dass der Soldat beim Schreiben tödlich getroffen worden war. Beklemmend aber auch die Briefe einer Frau, die ihrem Mann schildert, was sie beim Warten auf ein Lebenszeichen von ihm, gequält von den schlimmsten Ahnungen, durchmacht. Zunehmende Verzweiflung bis zum Wahnsinn. Und dann die Nachricht von seinem Tod.

Bilder: Salzburger Festspiele / Anjeza Cikopano (1); Luigi Caputo (1)

 

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