Feuersbrünste gehn dem Sohn voraus
FESTSPIELE / LIEDERABEND ANNA PROHASKA / ERIC SCHNEIDER
31/07/14 Soldatenfrauen in Russland oder England – sie leiden die gleichen Ängste um den Geliebten an der Front. Bewegende Geschichten vom Schicksal des Menschen - nicht nur des Soldaten - in Zeiten des Krieges erzählt die Sopranistin Anna Prohaska mit ihrem auch auf CD erschienenen Liederzyklus „Behind The Lines“. Ihr Festpiel-Abend war eine Sternstunde des Liedgesangs.
Von Heidemarie Klabacher
Keine Spur von heiterem Landsknecht-Ständchen oder erhebenden Hymnen. In der Vertonung des Heinrich Heine-Gedichtes „Die beiden Grenadiere“ lässt Robert Schumann die französische Hymne wohl anklingen. Aber der Komponist meint es genauso ironisch, wie der Dichter: Die beiden französischen Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft verzweifeln schier an der Nachricht „Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen“. Ihm wollen sie beistehen, dem Kaiser. Frau und Kind dagegen mögen getrost „betteln gehen, wenn sie hungrig sind“. Auch im Lied „Jeanne d’Arc au bucher“ von Franz Liszt auf einen Text von Alexandre Dumas klingt die Französische Hymne an: Jeanne d’Arc, die Hirtin und Kriegerin liebt ihre Nation, die sie gerettet hat – und ist bei aller gläubiger Tapferkeit zugleich erfüllt von tiefer Todesangst.
Das war quasi ein kleines „Französisches Intermezzo“ innerhalb der reichen Auswahl bekannter und unbekannter Lieder, die die Sopranistin Anna Prohaska zu einem bewegenden Reigen zusammengestellt und in einer Sternstunde des Liedgesanges präsentiert hat: inhaltlich, dramaturgisch und gesangstechnisch interpretatorisch gleichermaßen überwältigend.
Der klare - noch vor kurzem beinahe allzu zarte - Sopran von Anna Prohaska ist zu einer klangvollen reich timbrierten, dabei noch immer schlanken und beweglichen, Stimme gereift. Registerwechsel? Perfekt! Ein Strahlen liegt über hohen und tiefen Tönen. Präzise phrasierte Melodiebögen verbinden die Register.
Vokalfärbung? Ebenfalls kein Thema in den Interpretationen der polyglotten Künstlerin. Sie weiß eine altenglische Ballade ebenso farbig und verständlich zu artikulieren, wie das russische Klagelied der Soldatenfrau, die englischen Gedichte von Charles Ives oder die hochexpressiven Verse von Georg Trakl.
Ein Liedblock, der die Zuhörerschaft im Wortsinn den Atem hat anhalten lassen: Zunächst drei Gedichte von Bert Brecht vertont von Hanns Eisler. Angesichts der Panzer, „die nun das schöne Flandern niederfahren“ heißt es im Gedicht „Panzerschlacht“ ganz verwundert „Warst Du das, Weberssohn der Spinnerei? Oh, Sohn des Bäckers meiner Kinderwelt…“ Der Krieg und seine Gräuel haben ein Gesicht. Eislers trostlose „Heimkehr“ endet mit demselben Ton, mit dem die ebenso hoffnungslose Klage des Shakespeare-Zeitgenossen Michael Cavendisch anhebt. Und dieses völlig unbekannte Lied wiederum führte auf einem Ton über in Schuberts so bekanntes düsteres Lied „Kriegers Ahnung“.
Und dann hat zumindest ein Krieger Grauen, Dreck und Tod überstanden: „Raste Krieger! Krieg ist aus“. Schuberts wundersames Rondo auf den Text von Walter Scott lässt „der Trommel wildes Rasen“ oder den „Schreckensruf der Nacht“ nur mehr im Traum vorüberziehen. Dieses Gedicht stammt aus der Erzählung „Das Fräulein vom See“.
In der dramaturgisch so überaus beziehungsreichen Liedfolge ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass es mit Wolfgang Rihms Trakl-Vertonung „Der Untergang“ an einem Weiher weitergeht. Nur ist bei Trakl alle Hoffnung gewichen: „Über unsere Gräber beugt sich die zerbrochene Stirn der Nacht“. Haben Schubert/Scott den Krieger in sanften unendlichen Schlummer gewiegt, wird er von Rihm/Trakl mit einem verzweifelten Schrei wieder geweckt…
Auf vielfältigste Weisen stehen Texte und Vertonungen miteinander in Beziehung, „Alte“ und „Neue“ Musik nebeneinander: Wie passend angesichts der Tatsache, dass das Thema „Krieg“ leider nicht veralten und wohl nie „von gestern“ sein wird. Eric Schneider hat Anna Prohaska auf dem Klavier begleitet, subtil die wechselnden Stimmungen unterstützt und verstärkt, ein Klavierpartner im besten Sinne.
Dieses Liedprojekt ist ein bewegenderer Kommentar im Gedächtnisjahr 1914, also so manche wissenschaftliche historische Analyse. Die CD von Prohaska und Schneider mit genau diesem Programm und dem Motto „Behind The Lines“ wird Kultstatus bekommen.