Schnadahüpfeln an der Front
FESTSPIELE / DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT
30/07/14 Das Unmögliche annähernd möglich zu machen, so stellt sich für einen Regisseur die Aufgabe dar, die Tragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus zu inszenieren. Georg Schmiedleitner, eingesprungen für Matthias Hartmann, hat sich ihr mit einem Ensemble des Wiener Burgtheaters gestellt und im Landestheater am Dienstag gemischte Eindrücke geweckt.
Von Werner Thuswaldner
Der Text, zur Gänze umgesetzt, würde eine Aufführungsdauer von etlichen Tagen beanspruchen. Dramaturg Florian Hirsch stellte eine Fassung her, die rund viereinhalb Stunden dauert. Er verzichtete auf mehr als Dreiviertel des Stoffes. Es wird aber im Publikum kaum jemand gegeben haben, dem unbedingt nach mehr verlangte.
Die Inszenierung, die ab September in Wien weiter gespielt werden wird, ist ein wichtiger Teil im Programm der Festspiele, die dem Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren gewidmet ist. Die Tragödie gilt als Antikriegsstück par excellence.
Kraus sammelte eine Überfülle von dokumentarischem Material über die Ereignisse, über die völlig unreflektierte Kriegsbegeisterung, über den Chauvinismus, über die Stimmung an der „Heimatfront“, die Denkweise der hohen Militärs, Beglaubigung jeder Schandtat durch den Klerus, Manipulation durch die Presse – vor allem die „Neue Freie Presse“ –, die Brutalität der kriegerischen Aktionen und vieles mehr.
Schmiedleitners Qualitäten kommen dort zum Tragen, wo es Möglichkeiten zur volksstückhaften Ausformung gibt, Szenen mit dem Mob auf der Straße, im Kaffeehaus, im Lebensmittelladen, in einer Schulklasse usw. Mit markantem klingendem Spiel illustriert die Salzburger Postmusik in Tracht die zunächst mitreißenden Stimmung in der ersten Phase des Kriegs.
Dringend stellt sich die Frage, wie das Hineinschlittern in die Katastrophe möglich war. Denn aus der von Kraus arrangierten dokumentarischen Collage ist – zumindest von heute aus gesehen – für jedes Kind mit den Händen zu greifen, wie falsch das Volk, die Presse und das Militär lagen. Die Militärs waren Dummköpfe, wie Kraus am Beispiel Conrads von Hötzendorf zeigt. Die Kaiser, sowohl jener in Wien als auch der in Berlin, waren vertrottelt, die Beamten gerissen und illoyal, die Kriegsgewinnler gewieft, die Presse exzessiv parteiisch. Fehlt es an Differenzierung? Kraus führt die Protagonisten vor und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Daraus ergeben sich so manche heitere Momente. Kaiser Wilhelm und Ludwig Ganghofer etwa, die an der Front zusammentreffen, machen einander zu Deppen. Ganghofer singt und schnaderhüpfelt. Das ist lustig.
Der Regisseur lässt es turbulent zugehen, bietet jede Menge akustische und lichttechnische Effekte auf und wehrt sich so gegen wortlastige Lähmungserscheinungen. Die drohen in Form der langen Dialoge zwischen dem „Optimisten“ und dem „Nörgler“. Der eine beschönigt mit seinen Kommentaren das Geschehen, während der andere dessen Ungeheuerlicheiten kompromisslos benennt.
Die Auslassungen des Nörglers, mit dem Kraus sich selbst porträtierte, präsentieren sich als geballte Belehrung und Besserwisserei. Schmiedleitner versucht verzweifelt, Abwechslung ins Zwiegespräch zu kriegen und lässt die beiden zwischendurch sogar die Rollen tauschen. Wenn die zwei zuletzt in den Seitenlogen erscheinen, zeigt der Regisseur, dass er am Ende seiner Weisheit ist. Zwei sehr gute Sprecher (Dietmar König und Gregor Bloeb) erhalten viel Gelegenheit, sich zu profilieren.
Im Ensemble glänzen einige der versiertesten Burgmimen, so etwa Elisabeth Orth – u.a. als komischer Schulmeister -, Peter Matic als armer Kaiser Franz Joseph, und Petra Morze als glühende Patriotin. Die normalerweise hoch geschätzte Dörte Lyssewski hat es schwer. Sie geht als die berühmte Frontberichterstatterin für das Feuilleton der „Neuen Freien Presse“ Alice Schalek durch das Stück. Sie will von den Soldaten vor allem wissen, wie sie sich bei ihrem Mörderhandwerk fühlen. Frau Lyssewski steckt in einem engen, knöchellangen Rock und trägt eine pompöse Fellmütze. Ein seltsamer Einfall der Ausstatter, die übrigens auf Zeitbezüge verzichten und ohne Uniformen auskommen, was verallgemeinernde, aber auch verharmlosende Konsequenzen hat. Die Ausführungen der Schalek sind auf die Dauer lähmend, weil man schon längst begriffen hat, aus welchem Holz diese Tatsachenverdreherin geschnitzt ist.
Noch eine Anmerkung zur Dramaturgie: Antisemitismus-Passagen wurden herausgefiltert. Am Schluss ist zugleich Ende jeglicher Verharmlosung, wenn drastisch von österreichischer Seite begangene entsetzliche Kriegsverbrechen zur Sprache kommen.
Das Publikum bestätigte Georg Schmiedleitner einen achtbaren Erfolg.