Kunst und Politik, ein altes Ehepaar im Dauerstreit
FESTSPIELE / ERÖFFNUNGSFESTAKT
27/07/14 Die Stimmung in den Reden entsprach nicht unbedingt jenem herzhaften Lachen, mit dem sich die Protagonisten des Festakts zur Festspieleröffnung am Sonntag (27.7.) im offiziellen Pressefoto vorstellten. Am Ausbruch des Ersten Weltkriegs von genau hundert Jahren kann natürlich niemand herum.
Als Festredner verwies der Historiker Christopher M. Clark auf Parallelen zwischen den Ereignissen, die vor 100 Jahren zum Ausbruch des Ersten Wettkrieges geführt haben, und der heutigen weltpolitischen Lage. Diesem thematischen Fokus entsprechend bildeten Lesungen von Cornelius Obonya und Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf aus Werken von Karl Kraus und Stefan Zweig den Rahmen der Veranstaltung. Es musizierten das Mozarteumorchester unter Ivor Bolton und die Sopranistin Laura Aikin.
„Die Kunst rettet die Welt nicht. Das müssen wir schon selber besorgen, aber: Ohne Kunst wird es uns das kaum gelingen“, so LH Wilfried Haslauer in seiner Rede beim Eröffnungsfestakt der Salzburger Festspiele am Sonntag (27.7.) Vormittag in der Felsenreitschule. Die Allianz zwischen Politik und Kunst für die „heilige nationale Sache“ gebe es nicht mehr. „Sie hat einer Hassliebe zwischen Kunst und Staat Platz gemacht“, so der Landeshauptmann. Diese Beziehung, dieses Aufeinander-Angewiesen-Sein – Kunst könne ohne Öffentlichkeit nicht existieren, auch nicht ohne öffentliche Finanzierung, öffentlich getragene Aufführungsstätten oder Festspiele; aber auch der Staat, die Öffentlichkeit könne und wolle ohne Kunst nicht sein – gleiche laut Haslauer „lang verheirateten Ehegatten, die die jeweiligen Angewohnheiten des anderen bis zur Weißglut reizt und dennoch nicht voneinander lassen, nicht ohne einander leben können, unvollständig wären, Bruchwerk sein müssten."
Heute sei die Kunst der „würdevolle oder provokante Träger des Himmels in einer Prozession des ‚Nie wieder‘, von Humanität und Moralität, ein Himmel, der vor der sengenden Sonne der Wirklichkeit schützen“ solle. Aber, so Haslauer, „er schützt nicht vor den Raketen, die in Israel einschlagen und den Granaten auf Gaza, er schützt nicht vor einem Krieg in der Ukraine, deren Staatsgrenze von Wien weniger weit als Vorarlberg entfernt liegt.“
„Die Initiatoren der Salzburger Festspiele verstanden 1920, zwei Jahre nach Ende des Krieges, ihr Engagement als Friedenswerk", so Josef Ostermayer, Bundesminister unter anderem für Kunst und Kultur. Nur wenige Jahre später mussten sie allerdings die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen erleben. Denn der Nationalsozialismus – und damit die Ursache für das größte Leid: den Zweiten Weltkrieg, wäre ohne den Ersten nicht möglich gewesen, so der Minister.
Emotionale, menschliche Bewusstmachung entstehe allerdings seltener in Anbetracht globaler Aspekte, sondern öfter anhand einzelner, persönlicher Schicksale. Kunst und Kultur würden den Weg dorthin öffnen: „Von Auge, Ohr und Gehirn, wo wahrgenommen und verstanden wird, zum Rest des Körpers, wo in einem kontemplativen Prozess dafür gesorgt wird, dass Geschichte zuerst emotional und schließlich empathisch verstanden wird.“
Bundespräsident Fischer stellte in seiner Eröffnungsansprache fest, dass vor 100 Jahren alle Mechanismen versagt hätten, die den Frieden hätten bewahren können und dass uns dies auch heute noch ratlos zurücklasse. Und auch in den Köpfen vieler Musiker und Komponisten schien Merkwürdiges vor sich gegangen zu sein: Auch die Musik wurde rasch in nationale Einzelsprachen untergliedert.
„Es lässt uns nicht heute noch, sondern heute schon wieder ratlos zurück, wenn wir an das Versagen der Friedensmechanismen in der Ukraine oder an das Perpetuum mobile des Tötens zwischen Israelis und Palästinensern denken – von Syrien, vom Irak, von Afghanistan ganz abgesehen“, so Fischer. „Und es erstaunt mich immer wieder, dass gerade diejenigen, die ein Versagen europäischer und damit auch österreichischer Politik für die schrecklichen und blutigen Entwicklungen außerhalb Europas oder am Rande Europas mitverantwortlich machen, oft nicht viel anderes anzubieten haben, als die alte Politik des Drehens an der Spirale der Gewalt, der Zuspitzung der Feindbilder, der Dialogverweigerung. Die simple Erkenntnis, dass Krieg und Gewalt nicht die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio sind, ist noch immer nicht weit genug vorgedrungen – und das auf allen Seiten.“
Festredner Christopher Clark stellte die Ereignisse, die vor 100 Jahren zum Ausbruch des Ersten Wettkrieges geführt haben, der weltpolitischen Lage von heute gegenüber. Sein Resümee: „Wir befinden uns, wie im Jahre 1914, in einer Phase des Umbruchs. Die Konturen des alten Systems sind im Auflösen begriffen, die neuen Konstellationen sind noch nicht klar erkennbar. Gerade in solchen Momenten, wo das Gleichgewicht ins Wanken kommt, häuft sich das Risiko.“
„Ob wir heute in der Lage sind, dieser Falle zu entkommen ist noch nicht klar“, so Clark weiter. Er als Beobachter von außen setzt ganz auf die EU: „Wir sind nicht unbedingt klüger oder weiser als unsere Vorfahren. Aber wir haben, jedenfalls in Europa, bessere Strukturen. Hier hat man aus den Ruinen zweier verheerender Weltkriege eine Wirtschafts- und Friedensordnung hergestellt, die weltweit einmalig ist. Es ist nicht nur, dass durch die EU ein Krieg zwischen den Staaten Europas unvorstellbar geworden ist, sondern dass dieses transnationale Gebäude für die ganze Welt ein Modell bietet für die friedliche Schlichtung von Interessenkonflikten.“ (Landeskorrespondenz)