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Wie ein Gewitter aus heiterem Himmel

DOKUMENTATION / FESTREDE CHRISTOPHER M. CLARK

27/07/14 Elf zu vier – das ist die “Chance“, dass auch heute ein Krieg ausbricht, angesichts einer weltpolitischen Situation voller Umbrüche und Unwägbarkeiten. Die Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele von Christopher M. Clark war geeignet, den Zuhörern Gänsehaut zu machen. Die Hoffnung, nicht Fehler der Geschichte zu wiederholen, gründet für den Historiker in der EU. – Wir dokumentieren die Rede im Wortlaut.

Von Christopher M. Clark

Am Vormittag des 28. Juli 1914 – also morgen vor genau hundert Jahren – unterschrieb der 84-jährige Österreich-Ungarische Kaiser Franz Joseph in seinem Arbeitszimmer in der kaiserlichen Villa in Bad Ischl – hier im Salzkammergut – mit einem Federkiel die Kriegserklärung an Serbien. Vor ihm auf dem Schreibtisch stand eine Büste seiner verstorbenen Frau Elisabeth aus weißem Marmor. Rechts, in der Nähe seines Ellenbogens, befand sich ein elektrischer Zigarrenanzünder, eine unhandliche Apparatur aus Bronze auf einem Sockel aus dunklem Holz, dessen geflochtenes Kabel zu einer Steckdose hinter dem Schreibtisch führte. Dieser Zigarrenanzünder entsprach dem allerneusten Stand der damaligen Technik – er war ein Geschenk des russischen Zaren gewesen.

Genau eine Woche später am 4. August 1914 befand sich Europa im Krieg, in einem Krieg, der zu einem Weltkrieg ausarten sollte. Und dieser Weltkrieg verschlang vier große Reiche – das russische, das deutsche, das österreich-ungarische und das Osmanische Vielvölkerreich. Viel wichtiger, er verschlang auf seinen zahlreichen Schlachtfeldern die Leben von mindestens zehn Millionen jungen Männern. Zu den in vielen Fällen verheerenden Verwundungen, Verwundungen, die das visuelle Gedächtnis dieses Krieges besonders geprägt haben, gibt es bis heute keine zuverlässige Gesamtstatistik, aber die Schätzungen schwanken zwischen 15 und 21 Millionen. Und die moralischen Katastrophen des Krieges darf man auch nicht vergessen: die tausendfache Ermordung von Zivilisten in Belgien, Serbien, Galizien und Ostpreußen, die Bombardierung von zivilen Wohngebieten, die Versenkung von Linienschiffen, die Verhängung der Hungerblockade. Dieser Krieg entwickelte – wie Kriege das immer tun – eine unvorhergesehene Gewaltdynamik; er sprengte die ethischen, technischen und wirtschaftlichen Normen der Vorkriegswelt und schuf damit eine neue Wirklichkeit.

Die Debatte um die Entstehung dieses Krieges ist alt, ja sie ist so alt wie der Krieg selbst, sogar älter, denn der Streit darüber, wer schuld sei am Ausbruch des Krieges, fing an, bevor überhaupt die ersten Schüsse gefallen waren. Aber das Problem, das der Debatte zugrunde liegt, ist trotz dessen noch frisch. Ja, es ist heute in mancher Hinsicht sogar frischer als vor zwanzig oder dreißig Jahren.

In den 1970er Jahren, als ich diesem Thema als Schüler in Sydney in Australien zum ersten Mal begegnet bin, hatte sich um den Ausbruch des Weltkrieges ein gewisser nostalgischer Charme entwickelt. In den herrlichen Populärhistorien von Barbara Tuchman – 1914 und The Guns of August – erschienen die Krisenjahre des Vorkriegs wie ein buntes Historiengemälde. Tuchman stellte prächtige Uniformen, seltsame Sitten, exzentrische Persönlichkeiten liebevoll dar. Sie schilderte Lord Salisbury auf dem Weg zum britischen Unterhaus, auf seinem Dreirad sitzend, geschoben von seinem Valet James, wie er die kleinen Hügel im St. James Park mit flatterndem Frack herunterrollte. Sehr genau wurde auf die Willkürlichkeiten der Habsburger Hofetiquette eingegangen, auf die extravaganten Speisekarten bei Galadiners und überhaupt auf die monströse Spätblüte der kontinentaleuropäischen Hofkulturen.

Und es befestigte sich unbemerkt die Annahme: das seien wohl Menschen aus einer verschollenen und vielleicht auch todgeweihten Welt gewesen; wenn ihre Helme mit riesigen grünen Straußenfedern geschmückt waren, dann waren ihre Gedanken und Ideen wohl auch mit solchen Ornamenten versehen. Das seien wohl keine Zeitgenossen gewesen, sondern gestrige Menschen, Ideen und Argumente, die mit der heutigen Welt wenig gemein haben.

Wirft man jedoch erneut ein Auge auf die Ereignisse der Sommerkrise von 1914, und zwar von unserem Standpunkt im frühen 21. Jahrhundert aus, so ist man erstaunt von der Aktualität, von der rohen Modernität des Geschehens. Die Krise fing nämlich mit einem Autokorso an – vergegenwärtigt man sich das Bild der Wagen auf dem Appel-Kai in Sarajevo, so fühlt man sich an Dallas im November 1963 erinnert. Ausgeführt wurden die Morde durch eine Gruppe von Selbstmordattentätern – und zwar im wörtlichsten Sinne, denn die jungen Männer, die sich in Sarajevo versammelt hatten, um den Thronfolger niederzustrecken, waren nicht nur mit Bomben und Pistolen ausgestattet, sondern auch mit Zyankali, mittels dessen sie laut Anweisung nach Erledigung ihrer Aufgabe sich das Leben nehmen sollten. Und diese sieben jungen Männer – das waren sehr junge Männer: die alle enthaltsam in ihrem Lebenswandel waren, reich an Idealen und arm an Erfahrung, geprägt von jener naiven Ernsthaftigkeit, die den idealen Nährstoff für alle terroristischen Bewegungen bildet. Radikalisiert wurden diese Männer durch ein irredentistisches Milieu, welches durch einen regelrechten Todeskult gekennzeichnet war, durch eine quasi religiöse Verherrlichung der Selbstaufopferung, der Rache und des Attentats. „Ich will wie eine Fackel brennen für mein Volk“ schrieb der verstorbene Selbstmordattentäter Bogdan Žerajić, der sich 1910 nach einem verfehlten Attentat auf den Österreichischen Landeschef von Bosnien das Leben nahm. An den letzten Abenden vor dem Sarajevoer Attentat hielten sich Gavrilo Princip und Nedeljko Čabrinović am Grabe Žerajićes auf.

Ja sie legten sogar Blumen dort nieder, wenn auch die österreichischen Gerichtsprotokolle etwas bösartig bemerkten, diese Blumen seien nicht eigens für Žerajićgekauft, sondern von anderen Gräbern im selben Friedhof gestohlen worden. Als ich auf der Schule von diesen Einzelheiten erfuhr, erschienen mir diese Jungen als sehr fremde, unverständliche Gestalten, fest eingeschlossen in einer fernen Vergangenheit. Heute ist uns jedoch aus naheliegenden Gründen die Figur des Selbstmordattentäters gar nicht mehr so fremd.

Eben deshalb ist der Blick auf die Entstehung dieses Krieges auch heute noch so beunruhigend. Die Sommerkrise des Jahres 1914 mag in einer größeren zeitlichen Entfernung von uns stehen, sie ist uns aber heute paradoxerweise näher als vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren. Erst langsam ist uns klar geworden, was das Ende der bipolaren Stabilität des Kalten Krieges für die Entwicklung des globalen geopolitischen Systems bedeutet. Wir befinden uns – wie die Zeitgenossen vom Jahre 1914 – in einer zunehmend gefährlichen, multipolaren Welt, gekennzeichnet durch regionale Krisen, in denen zum Teil Großmachtinteressen verstrickt sind, und durch das Neben- und Gegeneinander eines ermüdenden und vermeintlich im Niedergang begriffenen Weltreichs und einer emporstrebenden Weltmacht, die mit ihrem ungestümen Rütteln am globalen Mächtegefüge in manchen Hauptstädten für Unruhe sorgt.

Gekennzeichnet war die Vorkriegswelt – nicht anders als die Gegenwart – durch ein wachsendes Misstrauen unter den Mächten, auch innerhalb der Bündnisblöcke. Und geschürt wurde dieses Misstrauen durch die Uneinigkeit der jeweiligen Entscheidungszentren, durch die Doppelbödigkeit der diplomatischen Signale. Ja man kann gewissermaßen mit Hinblick auf die Großmächte des Vorkriegs – wie bei der Europäischen Union heute – von einer Heisenbergschen Unschärfe sprechen, was den Ort der Macht in diesen komplexen Strukturen angeht.

Und wir dürfen schließlich auch die Urplötzlichkeit dieses Krieges nicht vergessen. Viele Zeitgenossen wogen sich in Sicherheit: der große Krieg, also ein Krieg zwischen den Großmächten sei unmöglich geworden. Dafür wäre die moderne Welt zu eng durch Handelsbeziehungen und finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse transnational vernetzt. „Für uns“ schrieb der Budapester Graphiker Béla Zombory-Moldován, der im Sommer 1914 eingezogen wurde, „war der Krieg ein Anachronismus. Bis er uns unmittelbar bevorstand, betrachteten wir ihn als eine Absurdität.“

Die Plötzlichkeit des Krieges hatte mit dem Tempo der ihm zugrunde liegenden Krisensequenz zu tun. Viele große Werke der Literatur zur Entstehung des Ersten Weltkriegs haben sich mit den dem Krieg zugrunde liegenden längerfristigen Prozessen des Wandels befasst: der Auflösung des sogenannten „europäischen Konzerts”, dem Aufkommen des Nationalismus im Rahmen einer zunehmend chauvinistischen Medienöffentlichkeit, dem seit 1870 durch die plötzliche Entstehung eines deutschen Nationalstaates in der Mitte Europas ausgelösten epochalen Strukturwandel.

Ausschlaggebend für die Komplexität der Ereignisse von 1914 waren jedoch die raschen Veränderungen im internationalen System: die durch die zwei Balkankriege verursachte Umwälzung der regionalen Machtverhältnisse, die Annäherung Rumäniens an Sankt Petersburg, die plötzliche Entstehung eines albanischen Nationalstaats, das türkisch-russische Wettrüsten im Schwarzen Meer, die Vertrauenskrise zwischen Berlin und London infolge der anglo-russischen Flottengespräche, das Umschwenken der russischen Balkanpolitik von Sofia nach Belgrad, um nur einige zu nennen. Das waren eben keine langfristigen historischen Übergänge, keine forces profondes, die sich über Generationen hinweg entfaltet haben, sondern kurzfristige Neuausrichtungen – phénomènes de courte durée. Sie haben die Entscheidungsträger der Vorkriegswelt vor immer neue Herausforderungen gestellt.

Die Folgen wurden durch die Fluidität der Machtverhältnisse innerhalb der europäischen Exekutiven noch verstärkt. Zum Teil deswegen kam dieser Krieg für die große Mehrheit der Zeitgenossen wie ein Gewitter aus heiterem Himmel. Hätte man am frühen Vormittag des 28. Juni 1914 – also gerade vor dem Attentat zu Sarajevo – die am besten informierten Staatsmänner des Kontinents gefragt, wie groß sie das Risiko eines europäischen Krieges einschätzen würden, dann hätte die Mehrzahl von ihnen geantwortet, ein kontinentaler Konflikt sei in den letzten Monaten und Jahren unwahrscheinlicher geworden. Schließlich hatte man die Balkankrisen der Jahre 1912 und 1913 überwunden, ohne einen großen Krieg auszulösen. „Seitdem ich an dem Foreign Office angestellt bin“, schrieb Arthur Nicolson, ein hoher britischer Funktionär dort, Anfang Mai 1914, „habe ich nie einen so ruhigen Seegang erlebt“. Der große Krieg kam also nicht langsam, sein Herannahen wurde durch die rohe Gewalt der Ereignisse drastisch beschleunigt. Die Gefahr war damals und wird vielleicht auch in Zukunft nicht unbedingt weit im Voraus zu erkennen sein.

Es besteht also kein Grund, auf die Entscheidungsträger des Jahres 1914 hochmütig herabzusehen – im Sinne dessen, was E. P. Thompson „the infinite condescension of posterity“ nannte – als wären das die verblendeten Vertreter eines vollkommen überwundenen Zeitalters gewesen. Die Komplexität der Krise vom Jahre 1914 ist zum Teil auf menschliche Verhaltensmuster zurückzuführen, die noch heute auf der politischen Bühne anzutreffen sind. Man denke doch an die Euro-Krise der letzten Jahre. Alle beteiligten Staaten waren sich bewusst, dass es einen möglichen katastrophalen Ausgang aus der Krise gibt, nämlich das Ende des Euro. Und alle waren sich einig, dass das der schlechtest mögliche Ausgang wäre. Aber das gemeinsame Bewusstsein reichte nicht aus, um den Egoismus der einzelnen Handelnden zu disziplinieren – ganz im Gegenteil. Jeder versuchte, diese Gefahr, die alle bedrohte, zum eigenen Vorteil zu nutzen.

Die Krise, die sich in den letzten Monaten in der Ukraine abspielte, ist wiederum unter anderem auch ein Mahnmal dafür, wie schnell die Ereignisse auch die sorgfältigsten Pläne überrollen und zu unvorhergesehenen Konstellationen führen können. Hier war ein komplexes Zusammenspiel von Kräften zu beobachten: innerstaatliche Unruhen, geostrategische Spannungen und sicherheitspolitische Gegensätze in einem demographisch vielfältigen peripheren post-imperialen Raum. Dass es bei dieser Krise noch nicht zu einer weiteren Eskalation gekommen ist, liegt nicht nur an der bisherigen Zurückhaltung aller wesentlich beteiligten Entscheidungsträger, sondern auch an der Existenz trotz aller Spannungen einer blockübergreifenden Sicherheitsarchitektur mit gemeinsamen Gremien – der KSZE, der G8 und des Europäischen Rates – die noch als Kommunikationsagenturen und notfalls auch als Vermittlungs- und Schlichtungsinstanzen dienen können.

Viel gefährlicher ist die Lage in Asien. Dort sehen wir – ich beziehe mich hier auf die Thesen des ehemaligen australischen Premierministers Kevin Rudds – eine Vielzahl von ungelösten territorialen Streitigkeiten: auf der koreanischen Halbinsel, zwischen Russland und Japan, zwischen China und Korea und zwischen China und Japan im Ostchinesischen Meer, zwischen Korea und Japan, zwischen China und vier Staaten Südostasiens im südchinesischen Meer, zwischen Thailand und Kambodscha, zwischen China und Indien und zwischen Indien und Pakistan wegen Kaschmir. Verstrickt in diese Streitigkeiten sind auch Nuklearmächte: Russland, China, Nordkorea, Pakistan und Indien.

Und es gibt in dieser Region überhaupt keine regionalen oder globalen Mechanismen die in eventuell vorkommenden Konflikten effektiv vermitteln könnten. Verschärft wird die Gefahr durch die Existenz komplexer Bündnisstrukturen, durch welche sich regionale Konflikte mit den Verhältnissen zwischen Großmächten verzahnen können. Man denke nur an die vielfältigen Abkommen zwischen Amerika einerseits und Japan, Südkorea, Taiwan, den Philippinen und Thailand andererseits. Eine Eskalation in dieser Region könnte Kontroversen zwischen den USA und China schlagartig verschärfen.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und den EU-Staaten sind eigentlich trotz verschiedener Spannungsphasen verhältnismäßig robust; die Kommunikation funktioniert auf vielen Ebenen. Das gleiche kann man nicht behaupten von den Beziehungen zwischen Beijing, Tokyo und Seoul. Und Nordkorea befindet sich in einem Zustand tiefster diplomatischer Isolation, die zurzeit weltweit einmalig ist. Was hier nottut, ist eine Kultur der transnationalen Kooperation, ähnlich wie jene, die in Europa aus den Ruinen der zwei Weltkriege entstanden ist. Stattdessen beobachten wir in Asien – wie übrigens auch in Teilen Europas – das Wiederaufwachen eines streitsüchtigen Nationalismus, der immer auf der Suche nach einfachen Lösungen ist.

Es gibt auch positive Entwicklungen. Sowohl in Beijing wie auch in Washington ist man bemüht, die Fehler vom Jahre 1914 nicht zu wiederholen. Generalsekretär Xi Jinping hat neulich von einem „Großmachtverhältnis neuen Typs“ mit Amerika gesprochen, und Washington hat seinerseits eine Reihe von bilateralen Gipfeltreffen vorgeschlagen, um das gegenseitige strategische Vertrauen allmählich aufzubauen.

Trotzdem sollten wir die Gefahr nicht unterschätzen. Wir befinden uns, wie im Jahre 1914, in einer Phase des Umbruchs. Die Konturen des alten Systems sind im Auflösen begriffen, die neuen Konstellationen sind noch nicht klar erkennbar. Gerade in solchen Momenten, wo das Gleichgewicht ins Wanken kommt, häuft sich das Risiko. „Es waren das Aufkommen Athens und die dadurch in Sparta ausgelöste Furcht, die den [Peloponnesischen] Krieg unvermeidlich machten“ schrieb Thukydides, der größte Historiker der griechischen Antike. In Anspielung auf diese Diagnose hat der US-amerikanische Politikwissenschaftler Graham Allison von der „Thukydides‘schen Falle“ gesprochen. In elf der fünfzehn Fälle, wo im Laufe der letzten 500 Jahre die bestehenden Machtverhältnisse durch das Emporkommen einer neuen Großmacht in Frage gestellt wurden, hat das laut Allison zu einem Krieg geführt.

Ob wir heute in der Lage sind, dieser Falle zu entkommen ist noch nicht klar. Wir sind nicht unbedingt klüger oder weiser als unsere Vorfahren. Aber wir haben, jedenfalls in Europa, bessere Strukturen. Hier hat man aus den Ruinen zweier verheerender Weltkriege eine Wirtschafts- und Friedensordnung hergestellt, die weltweit einmalig ist. Es ist nicht nur, dass durch die EU ein Krieg zwischen den Staaten Europas unvorstellbar geworden ist, sondern dass dieses transnationale Gebäude für die ganze Welt ein Modell bietet für die friedliche Schlichtung von Interessenkonflikten. Die EU hat zurzeit vor allem innerhalb Europas eine schlechte Presse. Sie und ihre Werte werden auch innerhalb der Union von populistischen Bewegungen in Frage gestellt. Aber wer die EU wie ich von außerhalb betrachtet – Australien hat noch nicht die Mitgliedschaft beantragt! – sieht in ihr einen Akt transnationalen politischen Willens, der zu den größten Errungenschaften der Geschichte der Menschheit gehört.

Die Katastrophe des Jahres 1914 ist eine Mahnung, wie furchtbar die Folgen sein können, wenn die Politik versagt, die Gespräche versiegen und kein Kompromiss mehr möglich ist. Die Geschichte bleibt zwar nach wie vor – in den Worten Ciceros – „die große Lehrerin des öffentlichen Lebens“. Da wir der Zukunft gegenüber blind sind, haben wie keine andere! Aber diese Lehrerin beschert uns keine eindeutigen Ratschläge. Sie gibt nur rätselhafte Orakel auf, über deren Bedeutung für die Gegenwart wir zum Nachdenken verpflichtet sind.

Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2014, gehalten am Sonntag, 27. Juli, 11 Uhr in der Felsenreitschule.
Christopher M. Clark, geboren 1960 in Sydney, studierte in seiner Geburtsstadt, in Berlin und Cambridge, wo er 1991 promovierte. Seit 2008 lehrt er dort als Professor of Modern European History.
In seinem 2013 erschienenen Buch zum Ersten Weltkrieg „Die Schlafwandler“ die These von einer besonderen Kriegsschuld des Deutschen Kaiserreichs infrage und zeichnet den Mechanismus nach, der zum Beginn des Krieges führte. 2013 wurde ihm der Braunschweiger Geschichtspreis und 2014 der Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch verliehen.
Bild: Landesmedienzentrum
Zum Bericht über den Eröffnungsfestakt
Kunst und Politik, ein altes Ehepaar im Dauerstreit

 

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