Musizieren auf des Messers Schneide
FESTSPIELE / CONCENTUS MUSICUS / HARNONCOURT
22/07/14 Unerwartete neue Klänge in wohlbekannten Werken, Nikolaus Harnoncourt in gewohnter körperlich intensiver Dirigiersprache und ein unterhaltsam humorvoller Vorspann auf der Leinwand: Filigrane Tonkunst bot sich dem erwartungsfrohen Publikum beim Orchesterkonzert des Concentus Musicus Wien im Großen Festspielhaus.
Von Stefan Reitbauer
„Da schreibt er ohne Auftrag, ja ohne konkrete Aufführungspläne in kürzester Zeit drei große Symphonien hintereinander, die auf geradezu magische Weise miteinander verquickt sind. Heute bin ich mir ganz sicher, dass Mozart mit diesen Werken etwas ganz Neues schaffen wollte und das Wort dafür, dass sich mir immer wieder aufdrängt, ist Instrumental-Oratorium.“ Nikolaus Harnoncourt betrachtet diese Einsicht als „Entdeckung meines Lebens“.
Wie die präzise Probenarbeit für dieses Mozart-Projekt aussah, zeigt zu Beginn ein zehnminütiger Film. Das Publikum ist entzückt – Kino und Konzert an einem Abend! Und dabei werden alle Befürchtungen zerschlagen, dass das folgende musikalische Ereignis in die Umsetzung einer musikwissenschaftlichen Doktorarbeit münden könnte. Harnoncourt betreibt exakte Wissenschaft. Ihre Übertragung erfolgt jedoch im wahren und ins wahre Leben, mit genau jeder Radikalität, Skurrilität und Unmittelbarkeit, die eben diesem so eigen zu sein scheint.
„Wenn ihr das so spielt, dann klingt das wie ein Lied. Das ist aber die pure Hoffnungslosigkeit. Die Bananen sind ausverkauft!“ Harnoncourt findet spannende Bilder, trifft den Nagel mit scharfer Ironie und provozierendem Humor immer auf den Kopf. Der Film endet viel zu früh.
Der Maestro betritt die Bühne, andachtsvoller Respekt erstickt den tobenden Auftrittsapplaus. Die Symphonie Nr. 39 in Es-Dur beginnt. Dem kraftvollen Adagio-Allegro folgt der betörend liebliche zweite Satz im Andante con moto. Die behutsam abphrasierten Linien sind kaum hörbar. Hörgeräte werden eingeschaltet, Oberkörper nach vorne gebeugt. Man ist zutiefst berührt von der Intensität am Rande des Wahrnehmbaren. Im forschen Tanzschritt durch das Menuetto ins rasante Finale. Dieses besitze, laut Harnoncourt, keinen eigentlichen Schluss, die folgende Symphonie in g-Moll Nr. 40 fange überhaupt nicht richtig an.
Also verbindet er, was seines Erachtens sowieso zusammengehört. Aus der Staubwolke des vorherigen Schlusses entwickle die Symphonie in g-Moll ihren Anfang. In diesem Werk gelingt es dem Meister der historischen Aufführungspraxis in bewundernswerter Manier, neue Linien herauszuarbeiten, Ungehörtes hervorzuheben, indem manchmal ganz schlicht Rhythmen anders betont, Überbindungen und staccato-artige Fortschreitungen in den Stimmen gegenübergestellt werden.
Im ersten Satz der Symphonie Nr. 41 in C-Dur, Jupiter-Symphonie genannt (Harnoncourt erklärt im Filmchen, nur ein Depp könne das Werk nach einem Lustmolch benannt haben), antworten die Streicher auf wilde kriegerische Bläsermotive. Wieder ein völlig anderes Klangerlebnis, als man es bei diesen vielgespielten Themen gewohnt ist. Der Höhepunkt – die große Schlussfuge im Finale.
Die Musiker des Concentus Musicus Wien sind ihrem Lehrer hörig. Man weiß an jeder Stelle, was zu tun ist. Die Holzbläser auf ihren alten Instrumenten beweisen großes Können, das Blech dröhnt, gibt Akzente und begleitet sanft. Die Abteilung der Streicher überzeugt mit viel Engagement, solider Technik und durchgehender Homogenität. Nikolaus Harnoncourt und sein Ensemble werden zu Recht minutenlang bejubelt. Musizieren auf des Messers Schneide, dynamische Wagnisse auf schmalem Grat und bei jedem Bogenstrich volle Hingabe.