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Starke Bilder aus einem Kinderbuch

FESTSPIELE  / JEDERMANN

21/07/13 Schon Wochen vor der Premiere war in Salzburg und darüber hinaus zu spüren, wie hoch die Erwartungen an die neue Inszenierung von Hofmannsthals „Jedermann“ waren. Es baute sich eine Spannung auf, so als handle es sich um ein Großereignis, von dem viel abhängt.

Von Werner Thuswaldner

075Das hat einerseits mit der großen Tradition zu tun, andrerseits aber auch mit einer Theaterbegeisterung, die kindliche Züge hat. Und nach der Premiere heißt die dringende Frage: Wie ist er nun, der neue „Jedermann“?  Hat er die Kraft, dass er sich über etliche Sommer hinweg im Repertoire der Festspiele wird halten können? Zumal die Unsicherheiten, das Risiko, diesmal doch ganz besonders hoch waren. Man denke: zwei fremdsprachige „Ausländer“, ein Engländer und ein Amerikaner, als Regisseure! Kann das gut gehen? Verstehen die überhaupt was von unserem alten Jedermann? Wissen die, wie der vor der Kulisse des Salzburger Doms sterben muss?

Um es kurz zu sagen, es ist alles gut gegangen. Zum Teil sogar sehr gut. Ja, dieser „Jedermann“ wird sich halten können. Die beiden Ausländer, der Amerikaner Brian Mertes und der Engländer Julian Crouch, erweisen sich als Bewahrer und als Neuerer zugleich. Sie springen mit der Vorlage nicht so skrupellos um, wie das andere Regisseure vor ihnen schon getan haben.

077Als Zuschauer hat man das Gefühl, als würde ein Kinderbuch vor einem aufgeschlagen, das uns in starken Bildern eine alte Geschichte erzählt. Auf den Stufen der Bühne stehen Modelle mittelalterlicher Stadthäuser und links kündigt sich mit Musik und Lärm eine Menge von Spielern an, die sich gleich auf die Szene drängen wollen. Und dann kommen sie endlich in einem langen Zug auf die Bühne, ein buntes Volk und unter ihnen viele Gestalten die große, groteske Masken tragen, mit kleinen Hörnern, Gnome, wie aus riesigen Kartoffeln geschnitzt. Eine Bärenmaske ist auch darunter. Hier schlägt die verspielte Fantasie von Brian Crouch durch. Sie bestimmt nachhaltig mit ihren skurrilen, ernsten und witzigen Puppen und Figuren die Bildeindrücke der Inszenierung. Zunächst muss sich das Auge in diesen Wimmelbildern zurecht finden. Einer erklärt, dass es nun gleich ein bedenkenswertes Spiel zu sehen geben werde. Das trifft genau den Punkt. Die ganze Zeit über bleibt der Eindruck bestehen, dass es um ein Spiel geht. Eine große, bunte  Spielgemeinschaft führt etwas vor, zeigt etwas her. Das Publikum taucht nicht durchgehend in eine Illusion ein, sondern erlebt, wie ihm im besten Sinn etwas „vorgemacht“ wird.

076Das Getümmel beruhigt sich schlagartig, alle gehen in die Knie und beugen den Kopf zum Boden, als ein junger Mensch (Florentina Rucker) die Worte des „Herrn“ spricht, der über die Art, wie er missachtet wird, verärgert ist. An dem reichen, selbstsicheren Jedermann will er ein Exempel statuieren und zeigen, wie prekär ein Menschenleben ist. Dafür wird die Figur des Todes sein Handlanger sein. Seltsame Figur dieser Tod (Peter Lohmeyer): groß, ganz in weiß, schlank und biegsam und die Stimme hoch und eindringlich.

Und der neue Jedermann, Cornelius Obonya? Viele sagten im Vorhinein: Da seinerzeit schon sein Großvater, Attila Hörbiger, diese Rolle mit Bravour gespielt hat, wird es der Enkel auch können. Die simple Wahrheit trifft zu. Obonya zeigt einen differenzierten Charakter. Dem Armen Nachbarn (Johannes Silberschneider) gegenüber gibt er sich als schäbiger Knauserer, aber nicht gänzlich unmenschlich. Er ist vom tiefen Glauben an die Macht des Geldes beherrscht. Das bekommen auch der Schuldknecht (Fritz Egger) und dessen Familie zu spüren. Sehr schwer fällt diesem Jedermann daher später die „Umschulung“ auf eine transzendentere Art des Glaubens, wenn er einsehen muss, dass seine Tage gezählt sind.

078Zunächst aber genießt er sein Leben, kräftig unterstützt von seinem windigen Guten Gesellen (Patrick Güldenberg). Seine Buhlschaft (Brigitte Hobmeier) radelt daher, umkurvt den Jedermann immer wieder und tobt an ihm ihren Übermut aus. Sie bringt Schwung in die Szene, wechselt flink die Garderobe und dominiert dann mit einem feuerroten Rock das Bild. Eine frivole Person, aber nicht nur. Zwischendurch spricht sie in getragenem Ton ganz ernste Sätze. Während es den Jedermann vor Angst schüttelt, weil von allen Seiten schauerliche Stimmen seinen Namen rufen hört. Und dann versetzt ihn der Tod, der plötzlich das riesige weiße Tischtuch der Festgesellschaft hinter sich herzieht, in totalen Schrecken.

Einer der Höhepunkte ist der Auftritt des Mammon (Jürgen Tarrach), der als monströse Puppe mit aufklappbarem Maul  aus einer Kiste kommt. Heraus springt der eigentliche Mammon, der sich als buchstäblicher Geldscheißer aufführt. Jedermanns Vettern, der Dicke (Hannes Flaschberger) und der Dünne (Stephan Kreiss) führen sich so grotesk auf, wie es diese beiden Figuren schon seit über neunzig Jahren tun.

079Jedermanns Gute Werke (Sarah Viktoria Frick) sind zunächst eine kleine, hilflose Puppe. Der Glaube (Hans Peter Hallwachs) sitzt hoch oben und spricht von dort seine frommen Sätze herab. Jedermann fängt vor lauter Reue an zu heulen und führt mit dem Ensemble, bevor es ans Sterben geht, einen furiosen Totentanz auf. Der Teufel (Simon Schwarz), der ihn holen will, blitzt ab, im Inneren des Doms wird es hell, die Erlösung nimmt ihren Lauf, ein kleines kitschiges Engelchen-Ensemble  macht die Musik dazu.

Am Schluss beweisen die beiden Regisseure noch einmal ihr Einfühlungsvermögen, mit dem sie eine ungewohnte Sehweise auf den alten Stoff ermöglichen. Sie gestalten ihn als Jedermanns Beerdigung. In einem langen Zug geht die gesamte Spielgemeinschaft an seiner Leiche vorbei und wirft Erde auf den Toten. Alle sind dabei, der Schuldknecht, der Teufel, die Kinder und auch die Buhlschaft. Die Trauermusik gewinnt an Rhythmus, und die Gesellschaft löst sich beschwingt auf, weil das Leben weitergeht.

Im Fernsehen: Sonntag, 28. Juli, 22 Uhr, ORF2 und 4.8., 20.15 Uhr, ORF III
„Matinee“-Dokumentation „Der neue Jedermann – Cornelius Obonya in Salzburg“ am 28.7., 9.05 Uhr, ORF 2
Dokumentation „Jedermann remixed – Eine Zeitreise durch 90 Jahre“ von Hannes Rossacher am 4.8., 18.45, ORF III
Bilder: SF /  Forster

 

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