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Kein Schatten im Tonstudio

FESTSPIELE / DIE FRAU OHNE SCHATTEN

31/07/11 Vergessen wir doch bitte nicht: „Originalklang“ ist nicht nur etwas, was uns die Renaissance, den Barock oder meinetwegen die Wiener Klassik nahe bringen soll. Auch Richard Strauss hat seine „Klangrede“, verlangt nach spezifischen Aufführungspraxis – und auf die versteht sich derzeit kein anderer so wie Christian Thielemann.

Von Reinhard Kriechbaum

Und in welcher Oper könnte man diesem Strauss-Ton, den Thielemann (auch) seinem deklarierten Idol Furtwängler abgehört hat, besser nachhören als in der „Frau ohne Schatten“? 1919 wurde das Werk uraufgeführt – damals war die Moderne noch keineswegs so festgeschrieben, wie sie in der Lupe der Nachgeborenen erscheint. Es wagnert (noch) unverhohlen in der Partitur, es scheint auch die Salome-Palette mit frisch angerührten, expressiven Farben durch. Und Strauss „malt“ bereits in der ihm eigenen Weise mit instrumentationstechnischer Raffinesse an seinen unverwechselbaren Diskant-Obertonreihen: Das gilt es ebenso hörbar zu machen wie der Pendelschlag zwischen kammermusikalisch lichtem Duktus und großen, voluminösen Entwicklungen im Orchester.

All das hat Christian Thielemann gedanklich und kapellmeisterlich im Griff wie derzeit kein anderer – und am Premierenabend haben die Wiener Philharmoniker instinktiv gespürt, dass das einer jener seltenen Momente war und ist, wo sie auf ihrem ur-eigenen Terrain gefordert und gefördert werden. Sie spendeten dem Dirigenten mithin nicht bloß konzentrierte Aufmerksamkeit. Es war vertrauensvolle, leidenschaftliche Hingabe.

„Die Frau ohne Schatten“ lebt (auch) von den vielen Orchesterzwischenspielen. Thielemann greift die jeweiligen Szenen-Stimmungen auf, er führt sie weiter und lässt sie gleichsam deklinieren. Das bannte die Zuhörer bei der Premiere am Freitag (29.7.) im Großen Festspielhaus mindestens ebenso wie das, wovon die Protagonisten zu singen haben. Die symphonischen Exegesen, reflektierend, sinnlich weiterführend und klang-schneidig Seelenzustände deutend, waren schon für sich allein genommen Höhepunkte des Abends.

So rund konnte das freilich nur funktionierten, weil ein exzeptionelles, in vergleichbarer Homogenität ultra-rares Sängerensemble aufgeboten war. Diese Humanisten-Stimme, mit der Wolfgang Koch den Barak, den sich nach Kindern, nach familiärer Erfüllung sehnenden Menschen erfüllt! Stephen Gould gibt dem Kaiser ein starkes Profil, mit artistokratische Zurückhaltung bei aller stimmlichen Präsenz.

Er und die Kaiserin, dieses aus der mythischen Welt in die irdische Existenz hereingeschneite Wesen: Das sind im Grunde inkompatible Existenzen, und genau diese lyrische Fremdheit spiegelt Anne Schwanewilms gleichsam in sich gekehrt, mehr nach innen sinnierend als ihr Unglück hinausschreiend. Einmal ist ihr, in einer Phrase des Ausbruchs, ein hoher Ton weggebrochen – und das war so plausibel, dass man sich fragte: Absicht oder ein Lapsus zufällig im richtigen Moment?

Alle Sympathien gehören natürlich der Färberin der Evelyn Herlitzius, die ihr Unerfüllt-Sein mit solcher Vehemenz hinausschreit und doch in jedem gesungenen Satz nachfühlbar macht, wieviel Harm und Frust in der Figur stecken. Nicht minder einprägsam Michaela Schuster als Amme, eine Verächterin der Menschenwelt, die mit gefährlichem Sarkasmus und schneidiger Aggression vorgeht, aber immer leiser, zurückhaltender wird – eine klug entwickelte Rollengestaltung.

Von der Bühnenpräsenz des Geisterboten (Thomas Johannes Mayer) muss berichtet werden, und auch von den drei Färber-Brüdern (Markus Brück, Steven Humes, Andreas Conrad). Im Detail zeigt sich die gediegene kapellmeisterliche Vorbereitungsarbeit – das geht bis zum Frauengrüppchen der „Stimmen der Ungeborenen“ und weiter zu den Chören, die sich mehrenteils aus dem Off, aber umso nachhaltiger zu Wort melden.

Was macht nun Regisseur Christof Loy aus der „Frau ohne Schatten“, diesem symbolistisch hoffnungslos überladenen und deshalb schon den Zeitgenossen suspekten Libretto-Unding? Er erinnert sich der Rezeptionsgeschichte. 1955 hat Karl Böhm in den Wiener Sophiensälen eine legendäre Schallplatteneinspielung gemacht – und die wird vom Regisseur und vom Bühnenbildner Johannes Leiacker quasi nachgestellt. Tonmeister wachen über das Geschehen, ihre Schanis rücken Mikrophone und stellen Notenpulte auf, weisen den Sängerinnen und Sängern, denen Ursula Renzenbrink Nachkriegs-Kostüme hat schneidern lassen, ihre Plätze zu.

Christoph Loy erzählt ganz unaufdringlich eine Sub-Geschichte, nämlich: Die Sängerin der Kaiserin ist neu im Metier. Sie beobachtet, wie sich ihre Kollegen immer mehr identifizieren mit den Rollen, darin aufgehen. Unerfüllte Privatheit wird von der Musik als Katalysator verstärkt und nach außen gespült. Es verschwimmen die Grenzen zwischen Rolle und dem jeweiligen Ich. Der Kinderwunsch führt dazu, dass die Sängerrinnen und Sänger sogar in den Tontechnikern Kinder sehen!

Das ist anschaulich gezeichnet. Das „Arte“-Publikum und jenes bei den Festspielnächten auf dem Kapitelplatz war vielleicht ein wenig im Vorteil, weil die Kameras wohl näher dran sein konnten als der Zuschauer im Großen Festspielhaus. Ein bisserl boshaft könnte man auch sagen: Christof Loy hat sich aus dem Erzählen einer über-komplizierten Geschichte heraus gestohlen und mit seinem Konzept ganz unverschämt Rampensingen ermöglicht. Aber ehrlich: Die Musik und ihre Botschaft sind in dieser Aufführung so stark, dass einem die „echte“ Geschichte überhaupt nicht abgeht.

Vielleicht deshalb hat am Schluss der Jubel auch für den Regisseur die Buhrufe bei weitem übertönt – und das, obwohl Loy sich ein ganz eigenwilliges Schlussbild à la „Christmas in Vienna“ ausgedacht hat: Die Sängerknaben aufgefädelt in Reih und Glied, die Protagonisten singen vom Glück des Schatten-Werfens, also der endlich gefundenen Bereitschaft, Kinder zu gebären. Ein Weihnachtsbaum mit Lametta-Kitsch steht da, und so kommt wenigstens durch die Hintertür eine ironische Brechung ins Spiel.

Über eines kann die „historische“ Szene ja doch nicht hinwegtäuschen: In einer Zeit, da unendlich viele Föten abgetrieben werden, andrerseits emsiges Bemühen in künstliche Befruchtung und Reproduktionsmedizin fließt: Wäre da „Die Frau ohne Schatten“ nicht die Oper schlechthin, um den Zeitgeist genauer zu hinterfragen und eine spannend-heutige Geschichte zu erzählen?

Bilder: SFS / Monika Rittershaus

 

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