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Komponierter Seitensprung

FESTSPIELE / SCHUMANNLIEBE

22/08/24 Das Adagietto aus Mahlers Fünfter. Drei Sätze aus Bergs Lyrischer Suite und Jörg Widmanns Schumannliebe nach Schumanns Dichterliebe. Das wirkt etwa willkürlich, bis man die Intention erfasst. Liebe als Stachel im Geist der Genies, das ist in etwa der rote Faden der Camerata unter Jörg Widmann mit Matthias Goerne.

Von Erhard Petzel

Es geht um den speziellen Ausdruck des Künstlers als Liebhaber. Unter diesem Gesichtspunkt ist das dann eine spannende Programmatik und bietet Bezugspunkte und Vergleichsebenen. Die Zuordnungen sind durch die Künstler selbst autorisiert und damit mehr als bloße Spekulationen. Diese ergeben sich spätestens durch die Interpretationen der Hörerschaft, womit die Werke zusätzlich Farbe und Fleisch gewinnen.

Jörg Widmann lässt am Mittwoch (21.8.) die Camerata das Adagietto bei aller Sensibilität in Ausdruck und Phrasierung flüssig, fast zügig voranschreiten. Damit drängt sich kein morbides Sittenbild eines altersschwachen Aschenbach in Viscontis Venedig auf, vielmehr wird die Liebeswidmung an Alma zum erotisch mitvollziehbaren Akt. Nicht zögerlich, sondern zärtlich zögernd mäandert der Strom eines euphorisch bedeckten Eros, bis er sich konvulsivisch Bahn bricht und aus seliger Erschöpfung neu Kraft holt. Der Große Saal ist Heimrefugium der Camerata bestens vertraut, sodass von den satten Tiefen der Streicher bis zu den Perlen der Harfe die ganze Bandbreite erregter Polyphonie bis in homophon schwelgende Orgiasmen aufleuchtet. So erhört ist es nicht nur faszinierend schöne Musik, sondern durchaus eine physisch-psychische Charakter- und Virilitäts-Studie des Komponisten. Vielleicht erahnt sich da auch Almas Hang zur Erfahrungssammlung außerhalb dieser Ehe.

Bergs Stücke wiederum sind Zeugnisse eines auskomponierten Seitensprungs. In der Bearbeitung für Streichorchester von 1928 verwendet Berg die Sätze zwei bis vier aus der ursprünglich sechs-sätzigen Suite, wobei schon die erste Satzbezeichnung Andante amoroso den für sich sprechenden Tenor vorgibt. Beim Internationalen Musikfest in Prag 1925 verknallt der Komponist sich heftig in Hanna Fuchs-Robettin, die Gattin des Industriellen, der ihn eingeladen hatte. Ein Sturm im geheim gehaltenen Untergrund, der sich durch die Komposition ausdrücken sollte. Chiffren, Anspielungen und Zitate bewirken einen im Vergleich zu Mahler mittelbaren Zugang zu Bergs Gefühlsleben, das doch erst durch die Hirnschranke gelangen zu müssen scheint. Natürlich ist der kommunikative Akt bis zum eigentlichen auch hier nachvollziehbar, in den tiefen Streichern sogar recht direkt und brutal. Unter verschiedenen Voraussetzungen walzt sich das Paar in die Erfüllung. Eindrücklich das Gewisper im Allegro misterioso, während sich das Adagio appassionato aus schwerer Katerstimmung erhebt.

Noch verkopfter, wenn auch antiplatonisch, ist die Liebesbeziehung Widmanns zu Schumann, wenn er dessen Dichterliebe paraphrasiert. Ein modernes Ensemble mit Harfe, Holz, Blech, Streichern, Celesta, Ziehharmonika und einem ausgedehnten Schlagwerk-Park fährt mit zeitgenössischen Spieltechniken als mondäner Sturm durch Schumanns Liederzyklus. Seine Bewunderung des romantischen Vorgängers darf man Widmann getrost abnehmen. Allerdings verliert das elegant wandlungsreiche Original seine Leichtigkeit in der breiten Wucht des Instrumentenwusts. Wenn Schumann kongenial das ironische Spiel im Text Heines ins Lied transferiert, deutet Widmann das erdenschwer in Liebesproblematik um. Ironie verliert sich in der Allgegenwart dissonanter Ausdeutung, durch die sich Mathias Goerne mit Schreck geweitetem Blick windet.

Nach überreicher Fülle großartiger Instrumentierung wird Nummer XIII zum Ereignis. Das Weinen im Traum erfolgt zwei Strophen lang fast ganz a cappella, da die Instrumente auf Einwürfe beschränkt sind. Dessen ungeachtet ist Widmanns Instrumentierung raffiniert und beeindruckend. Das Publikum dankt es ihm, dem Sänger und dem Ensemble mit enthusiastischem Beifall. Bereits programmiert ist der Anhang als Draufgabe. Das liebe engelgleiche Traumgesicht wird durch den Kuss des Todes erbleichen. Als erhebend schöner Choral endet die Bogenform im verschatteten Klang einer Spieluhr, in die ersterbend die Geige seufzt. Erhebend die Klangkultur der Camerata. Orchester und Bariton haben sich sichtlich wohl gefühlt unter Widmanns Führung.

Bilder: SFS / Marco Borrelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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