Freiheit, aber mit Ordnung
FESTSPIELE / ANDRÁS SCHIFF
16/08/24 Ein Solistenkonzert András Schiff und Profi-Huster im Publikum – was wäre das eine ohne die anderen? Nervt Sitznachbarn ebenso wie den Tastenmeister, der am Donnerstag (15.8.) im Mozarteum genau so reagiert hat, wie es einem Sir, der er ja ist, zukommt. Mit souveränem Understatement.
Von Reinhard Kriechbaum
„Viel gesundes Husten“, wünschte er da nach dem Goldberg-Variationen-Thema seinen Zuhörern. Nachsatz: „Stört mich überhaupt nicht, auch wenn sie mich stören wollen.“ Unsereiner weiß sich zu benehmen, hustet nicht und hat sich zusammengerissen, auch wenn man an dem Abend schon gelegentlich zu wetzen versucht war. Schiff, mit Microport ausgerüstet, war nämlich wieder mal zu einer Concert Lession aufgelegt. Sprich: Er fühlte sich zu Werkeinführungen motiviert, auf Deutsch und Englisch. Da sagte er im Prinzip genau das, was er zuvor der Programmheft-Autorin in die Feder diktiert hatte. In deren Text standen auch alle Werktitel, die auf der ersten Seite verschwiegen waren – gerade so, also ob das Programm der spontanen Intuition von Sir András entspringen würde...
Aber nun gut. Schiff ist unterdessen in einem Alter, in dem man einem alten Herrn eine gewisse Schrulligkeit gerne nachsieht. Und Schiff hat als Pianist nach wie vor viel zu sagen. Diesmal – angelehnt an Beethoven – zum Motto Sonata quasi fantasia – Fantasia quasi una sonata. Weniger prätentiös: Stationen in der Musikgeschichte zwischen Bach und Schumann, an denen die Tonschöpfer Wegweiser neu aufgestellt haben, ausgebrochen sind aus den Form-Schemata ihrer Zeit, ihre Fantasie und Kreativität haben spielen lassen, und doch der Form halber in der Form geblieben sind. „Freiheit, aber mit Ordnung“, zitierte Schiff Pablo Casals.
Da konnte man also beispielsweise in Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge nachlauschen, wie überbordende Nicht-Funktionsharmonik wie mit dem Lasso eingefangen wird, indem die Sache ja doch in eine „ordentliche“ Fuge mündet. In Mozarts Fantasie c-Moll KV 457 will Schiff eine verkappte Opernszene erkennen, „Don Giovanni in zehn Minuten“, wie er es formuliert und dann Motiv um Motiv auch so darstellt. Man mag das nicht wenig überzeichnet finden, aber Schiffs Lesart hat auch suggestive Kraft. Beethovens Sonata quasi una fantasia op. 27/1: Da lässt András Schiff im Finalsatz die fugenartigen Themeneinsätze mit schier ungestümem Temperament übereinander purzeln – und es wird ja doch kein Riesenfugato draus, sondern bleibt eine (gut verborgene) Sonatenhauptsatzform, von der die Hörer aber perfekt abgelenkt werden. Das eben war der programmatische Kern des Abends.
Nicht alles war wohlvertraut an dem Abend. Joseph Haydns C-Dur-Fantasie Hob. XVII:4 ist dem Schreiber dieser Zeiten in immerhin 47 Jahren als Musikjournalist in einem Konzert noch nie untergekommen, und eben so wenig Felix Mendelssohn Bartholdys Fantasie fis Moll op. 28. Diesem Zwitter zwischen Fantasie, Sonate und „Lied ohne Worte“ schenkte Schiff viel beredte Elegance. Es war gleichsam der lyrische Kontrapunkt zur Funkensprüherei rundum, die – zwei Konzertstunden waren da schon um! – schließlich noch in der Ende-nie-Fantasie von Schumann (C-Dur op. 17) mündete.Danach wünschte man sich, ehrlich gesagt, mehr Bier, als man vorausschauend daheim eingekühlt hatte.
Schiff hat es seinen Hörern also nicht ganz leicht gemacht an dem Abend, hat sie aber gerade auch im ausufernden Schumann-Opus mit manch aufschlussreichem Ohrenkitzel belohnt. Es wäre eine Programmfolge gewesen, nach der sich eine Zugabe eigentlich verboten hätte – nach einigen Beifallrunden kam dann aber doch ein Intermezzo von Brahms, mit vielen, vielen Modulationen, also auch sehr gut zum Fantasie-Thema des Abends (und zu dessen ausufernder Länge) passend.