Zeit für Zeit mit Schnittke
FESTSPIELE / QUATUOR ÉBÈNE
15/08/24 Das Quatuor Ébène zählt seit über zwanzig Jahren zur internationalen Streichquartett-Spitze. Faszinierend, die filigrane Detailarbeit der Formation, auch wenn die Tiefe des Ausdrucks mitunter hinter der Kunst auf's Feinste gesponnener klingender Girlanden in den Hintergrund gerät.
Von Gottfried Franz Kasparek
Die Geiger Pierre Colombet und Gabriel Le Magadure sind von Anfang an dabei, die Bratscherin Marie Chilemme seit 2017. Nun ist ein neuer Cellist am Werk, Yuya Okamoto, der sich bestens einfügt.
Wolfgang Amadé Mozarts erstes von drei 1789 entstandenen „Preußischen Quartetten“, jenes in D-Dur KV 575, mag inmitten einer eher schwierigen Lebenssituation des Komponisten „in Regionen reinster Seligkeit“ vorstoßen, wie Alfred Einstein meinte. Doch muss diese Vision einer galanten Welt gar so aquarellhaft weich erklingen wie beim Kammerkonzert am Mittwoch (14.8.) im Großen Saal des Mozarteums? In der oft zerbrechlich anmutenden, wie mit einem Silberstift gezeichneten Interpretation hörte man geradezu Rokoko-Engerln singen. Zierliche Tonfolgen prägten das Stück, in dem es doch auch kontrapunktische Meisterschaft, hintergründige Kontrastwirkungen und allerlei launige Überraschungen zu entdecken gäbe. Die vollendete Schönheit, die das Ensemble dem Stück verlieh, schien allzu sehr an der früher als „apollinisch“ bezeichneten Oberfläche von Mozarts Textur zu verweilen.
Alfred Schnittke lässt in seinem Streichquartett Nr. 3 von 1983 solches nicht zu. Der Gründer der modernen Polystilistik hat die Avantgarde aus ihrem elfenbeinernen Turm geholt und mit expressiven Gefühlswelten verbunden. Von Orlando di Lasso bis Schostakowitsch reichen die Bezugnahmen in dieser vieldeutigen, hoch emotionalen Musik, die keinen Takt lang altmodisch und schon gar nicht epigonal klingt. Schnittke selbst schrieb von einem neuen musikalischen Raum, der „dynamische Formgestaltung wieder ermöglicht“. Die Romantik, die einfach nicht sterben will, spielt in den von ihm gefundenen Klangräumen eine wichtige und völlig unsentimentale Rolle. Es wäre Zeit für „Zeit mit Schnittke“! Das Quatuor Ébène spielte das packende, dreiteilige, aber pausenlose Stück mit verinnerlichtem Feuer, sonorer und sehr mitteilsamer Gebärde sowie perfekt austarierter Dramatik.
Nach der Pause folgte, in aller Breite ausgespielt, Franz Schubert immer noch erregend „modernes“ Streichquartett G-Dur D 887, geschaffen in der unglaublich kurzen Zeit vom 20. bis zum 30. Juni 1826. Auch hier erwies sich das Quatuor Ébène als Meisterensemble der höchst artifiziellen Feinarbeit. So hingebungsvoll nuancenreich hört man das Stück selten. Wie sich in den ersten beiden Sätzen sehnsuchtsvoll schwebendes Licht, latente Schwermut und trotziges Aufbegehren abwechseln, wie im sozusagen Beethoven links überholenden Scherzo das Cello im Trio einen überirdischen Gesang anstimmt und das Finale zu einem einzigen Tanz zwischen Himmel und Hölle wird, all dies erfüllte das Quatuor mit souveräner Spiellaune.
Und doch – die Kontraste blieben mitunter zu arm an drängender Gewalt, die Dramaturgie war zu unscharf. Alles klang wunderschön und ging nur selten wirklich unter die Haut. Doch die Bravo-Fraktion im Publikum feierte das Ensemble lautstark. Eine Zugabe wäre nach diesem kapitalen Programm und nach Schuberts fast einstündiger Reise in die Abgründe der Seele des Guten zu viel gewesen.
Bilder: SFS / Marco Borrelli