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Rasendes Roulette

FESTSPIELE / DER SPIELER

13/08/14 „Das Orchester stellt das Innere des sich drehenden Rouletterades dar, während die Figuren sich außerhalb davon unterhalten und über ihre unüberbrückbaren Differenzen streiten. Ebenso uneins untereinander sind sich die Harmonien.“ Besser als im Programmbuch lassen sich Musik und Plot Prokofjews nicht auf den Punkt bringen.

Von Heidemarie Klabacher

Wenn die Festspiele einen „Erziehungsauftrag“ haben, dann haben sie diesen mit Der Spieler von Sergej Prokofjew für gleich mehrere Saisonen übererfüllt. Da wird dem Publikum nichts geschenkt. Schon gar nichts gegönnt. Kein Glamour, außer natürlich in den Stimmen. Kein gemütliches Zurücklehnen und Genießen anderer Leute Liebessorgen. Kein Schwelgen im Wohlklang der Wiener Philharmoniker. Obwohl sich die „Wiener“ unter der stringenten und präzisen Leitung – und Meisterleistung – des Debütanten Timur Zangiev selbst übertroffen und ihre Qualität als monumentale Rhythmus-Gruppe unter Beweis gestellt haben. Kein genüsslicher Augenschmaus auf der moosbewachsenen Bühne. Es könnten auch Fetzen vom grünen Filz alter Spieltische sein, die Ausstatter George Tsypin über Boden und Arkaden der Felsenreitschule wie Schimmel sich hinziehen lässt.

Wie giftige Schwammerl wachsen in dieser ungesunden Atmosphäre des Vergammelns und Vergehens mehrere kreiselförmige „Objekte“. Sie symolisieren die Roulett-Räder, können aber auch wie Luster aufgezogen und damit aus dem Weg geräumt werden. Sie können rotieren und heftigst in grellen Farben blitzen.Es spielt alles im Casino. Intimere Räume werden einzig durch die beeindruckende Licht-Gestaltung von James F. Ingalls geschaffen.

Prokofjews Oper entstand in zwei Fassungen ab 1915 und ab 1927. Weltkrieg und russische Revolution sind einer Uraufführung in die Quere gekommen. Die wirtschaftliche, politische und soziale Lage der Heimat des Komponisten spiegelt sich im Werk. Die Uraufführung 1929 in Brüssel war kein Knaller. Prokofjew war – vor allem mit sich selbst – unzufrieden: „Der Gesamteindruck war unaufgeräumt und überladen. Ich muss eine andere, wesentlich einfachere Oper schreiben, die weniger zusammenhanglose Teile und unverbundene Stränge enthält.“ (Der Prokofjew-Ausspruch findet sich, wie das Titel-Zitat, im besonders qualitätvollen Programmbuch-Beitrag von Simon Morrison.)

Auch das Libretto – vom Komponisten mit Hilfe eines Dostojewski-Experten verfasst – bekam schon damals sein Fett weg. Ein Kritiker der Zeit: „Dostojewskis Roman ist zum skurrilsten, fantastischsten und zusammenhanglosesten Stück geworden, das man sich vorstellen kann. Sein Thema erscheint nur noch im Titel, die Handlung ist unverständlich, und die Figuren sind nichts als Marionetten, die herumlaufen, mit sich ringen, schreien, heulen, sich gegenseitig anrempeln und beschimpfen, ohne dass wir und, was noch schlimmer ist, dass sie selbst wüssten, warum.“ So der Kollege 1929. Das kann man auch anno 2024 nicht besser fomulieren.

Nur haben wir Heutigen Peter Sellars als Regisseur. Dieser hat sich mit seiner Arbei am Spieler als von geradling analysierender Denkungsart präsentiert: Aus Turbulenzen, Querelen und kaum nachvollziehbaren persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten innerhalb des Pandämoniums gelingt es Sellars, präzise Charakterfiguren heraus zu schmelzen. Die größte Hilfe bieten dabei die Solistinnen und Solisten von Weltrang.

Peixin Chen ist Der General a. D. dessen Gaunereien und Schulden den roten Faden durch den Irrgarten der Handlung bilden. Den unentwirrbarsten Gefühlspfad legt darin Asmik Grigorian als dessen Stieftochter Polina. Sie ist hingezogen und abgestoßen gleichzeitig von Alexej Iwanowitsch, dem Hauslehrer der Kinder des Generals. Er ist/war der ursprünglich „typische“ Dostojewski'sche Student mit aufrührerischen Tendenzen: Sean Panikkar stellt dessen Partie ins Zentrum der Produktion – stimmlich wie darstellerisch, auch wenn die Motive dieser Figur unklar bleiben und erst mit der letzten Szene ihre „wahre“ Natur als unheilbar Spielsüchtiger herauskommt. Zwischen Polina und Alexej gibt es einige kostbare ruhige Szenen, in denen auch die Maschinenmusik Prokofjwes zur Ruhe kommt.

Die ganze Zeit im Hintergrund – und ungefragt im Finale in den Vordergrund tretend – steht mit all ihrem Reichtum die Großmutter Babulenka. Sie stirbt nicht, wie erhofft, sondern verspielt zur Verzweiflung aller ihr Vermögen: Violeta Urmana erhielt bei der Premiere am Montag (12.8.) in der Felsenreitschule gleich jubelnden Applaus wie Asmik Grigorian.

Juan Francisco Gatell und Michael Arivony kreisen als Verführer und Vergewaltiger – Der Marquis und Mr. Astley – um Polina: Sie gestalten Stimm- und Charakterporträts von Rang. Die unzähligen kleinen und kleinsten Solonummern in der finalen Roulette-Szene bestreiten virtuos Mitglieder des Young Singers Project und der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, einstudiert von Pawel Markowicz.

Der Spieler – kein gemütlicher, sondern ein herausfordernder und wichtiger Abend.

Weitere Aufführungen bis 28. August – www.salzburgerfestspiele.at
Die Rundfunkaufnahme wird am 17. August um 19.30 Uhr auf Ö1 gesendet. Die gemeinsame Aufzeichnung von ORF, 3sat, NHK und UNITEL wird wie folgt ausgestrahlt
24. August um 20.15 in 3sat
24. August um 20 Uhr auf medici.tv
25. August um 21 Uhr auf Mezzo
8. September um 23.15 in ORF III
Bilder: SFS / Ruth Walz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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