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Ein demokratisches Bild von Vielfalt

HINTERGRUND / FESTSPIELE / SPIEGELNEURONEN

14/08/24 Ein Spiegel wird „da installiert, wo normalerweise die Bühne ist“. Er werde nicht nur die Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie von Sasha Waltz reflektieren, sondern „wie ein gigantisches Selfie die ganze Tribüne mitsamt dem Publikum“, erklärt Regisseur Stefan Kaegi, Kopf des Dokumentartheater-Kollektivs Rimini Protokoll.

Spiegelneuronen geben einem Stück den Titel, von dem man nur vage ahnen kann, was es wird. Diese Spiegelneuronen sind ein Begriff aus der Gehirnforschung. „Sie helfen dabei, Empathie zu erklären, beim Teilen von Gefühlen“, erklärt Stefan Kaegi. Die Gefühle des Publikums sollen an dem Abend sichtbar werden.

„Nicht mehr die Tänzer stehen als Protagonisten im Mittelpunkt“, sagt die choreografische Mitarbeiterin Claudia de Serpa Soares über das Konzept, „die Tribüne wird zur Bühne, die gemeinsame Erfahrung mit dem Publikum verändert sich an jedem Abend immer wieder.“ Das sei insofern besonders herausfordernd, als man dabei erst lernen müsse, dass die Zuschauergruppen ganz unterschiedlich reagierten. „Unsere Aufgabe besteht darin, eine gemeinsame Sprache mit dem Publikum zu entwickeln, es geht um eine weitreichende Öffnung gegenüber den Zuschauern“.

Die Perspektive eines offenen Umgangs zwischen Tänzern und Publikum betont auch Kaegi. Und fügt in Bezug auf das Gemeinschaftserlebnis als zentrales Element hinzu: „Theaterspielen wird oft als Aktion in nur eine Richtung missverstanden. Tatsächlich spielen aber immer alle gemeinsam, es geht um Interaktion. Diese Entwicklung eines gemeinsamen Gesellschaftsmodells macht großen Spaß. Wir haben gemerkt, dass in gewissen Momenten oft auch Impulse aus dem Publikum herauskommen, die dann von anderen übernommen werden.“ Auf diese Weise ergäben sich neurowissenschaftliche Abbildungen im Kollektiv, aufgrund derer wiederum individuelle Verhaltensweisen entstünden.

Stefan Kaegi, Helgard Haug und Daniel Wetzel bilden seit 2010 ein Autoren-Regie-Team unter dem Label Rimini Protokoll. Das Konzept des „dokumentarischen Tanzabends“ beschreibt Produktionsdramaturgin Silke Bake: „Die recherchierende Einbeziehung von Wissenschaftlern steht ganz in der Tradition der Arbeit von Rimini Protokoll.“ Durch Blickrichtungen aus verschiedene Disziplinen, etwa aus Informatik, Biologie oder Soziologie, sei die Idee weiterentwickelt worden. Proben seien nur eingeschränkt möglich, erst in Testdurchläufen mit Zuschauern habe man immer mehr darüber gelernt, was das Publikum denke und empfinde, wer innerhalb welcher Gruppe wie auf Bewegungen reagiere. „Man weiß vorher nie, mit welchem Publikum man es zu tun hat. Das gilt es, jedes Mal aufs Neue auszuhandeln, darin besteht die Arbeit der Tänzer“, sagt Silke Bake.

Die Frage, wie viel Spontaneität in der Aufführung liege, beantwortet Claudia de Serpa Soares so: „Es gibt zwar ein Skript, das wir im über den Zeitraum eines Jahres hinweg entwickelt haben und in das auch Musik und Lichtverhältnisse einfließen. Das dient aber nur als Richtlinie, in diesem Rahmen gibt es durchaus Raum für individuelle Aktion und die Möglichkeit für die Tänzer, eigene Führungsentscheidungen zu treffen.“ In welche Richtung das Ganze gehe, sei letztlich eine Sache der Intuition. Zielsetzung sei in jedem Fall die Entstehung eines Kollektivs.

Den Aspekt von Verflechtungen der Originalstimmen von Wissenschaftlern mit Video-Elementen und Lichtverhältnissen bezeichnet der Regisseur Stefan Kaegi als ein „sinnliches Erlebnis“. Das Ganze vermische sich zu einer Art variabler Collage mit Soundtrack. Die transformierenden Bewegungen pluralistischer Mengen in ihrer Gesamtheit ergäben „ein demokratisches Bild von Vielfalt, ein Abbild reichhaltiger Kultur“. In gewisser Weise erlaube das jedem einzelnen, eine „Tanzkritik der Gesellschaft“ zu schreiben.
Als ein Plädoyer für die Entfaltung von Neugier sieht Sasha Waltz die Spiegelneuronen. Was genau dabei auf einen zukomme, könne man wie bei jeder Theateraufführung im Vorfeld nie sagen. Das bekräftigt auch Kaegi: „Instruktionen für das Publikum gibt es keine. Das Wie der Erfahrung muss man über die eigene Sensibilität erfahren.“ (PSF/dpk-krie)

Spiegelneuronen. Premiere heute Mittwoch (14. August) in der Szene Salzburg, Aufführungen bis 21. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Neumayr/Leo (3); Bernd Uhlig (1)

 

 

 

 

 

 

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