Das Leben feiern
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / NELSONS
10/08/24 Terroranschlag. Sturz in den Abgrund. Tiefes gestopftes Blech dröhnt bizarr. Pauken- wie Donnerschläge. Musik wie ein Steinschlag. Alsbald lieblicher Streicherklang und davonziehendes Unheil... Andris Nelsons und die Wiener Philharmoniker kosten mit der Neunten Mahler die permanente Bedrohungslage durch das Leben genussvoll aus.
Von Heidemarie Klabacher
Der Symphonie Nr. 9 D-Dur von Gustav Mahler wird gern Tod und Testament und Letztes Wort nachgesagt. Stimmt ja auch, dass Mahler schon ein Jahr tot war, als das 1909 geschriebene Werk 1912 uraufgeführt wurde. Das war's aber auch schon mit dem Todessehnen. „Kritische Stimmen der Musikwissenschaft“ hätten erst in jüngerer Zeit „den Nachweis erbracht, dass Mahlers Lebensführung 1909 durchaus nicht von resignativen Zügen geprägt war“, weiß das Programmheft. Hätte man schon länger wissen können, wenn nicht der Mythos um die Zahl „9“ so erfolgreich um die Biografien der großen Symphoniker gewoben worden wäre.
Vielleicht braucht es aber auch die Lesart von Andris Nelsons, um von der Deutung des finalen Adagios als ersterbendes Verlöschen oder des dritten Satzes als diabolisches Treiben auch mal wegzukommen. Freilich ersterben die Streicher und süßen Holzbläser oft genug in der Neunten Mahler, um ebenso oft mit dem nächsten Atemzug auch schon wieder aufzublühen.
Keine Sentimenaltitä in der Lesart Nelsons' und der Wiener Philharmoniker bei der Matinee am Samstag (10.8.) im Großen Festspielhaus. Auch inszenierte man sich nicht als Wienerische Pompfuneberer. Vielmehr wurde den eschatologischen Momenten mit aufklärerischer Transparenz begegnet: Man konnte jeder Linie jeden Instruments auch durch gröberes Getümmel folgen. Der zweite Satz, dieser überzeichnet bäuerische Ländler in genagelten Bergschuhen, mit denen man aber locker auch in den Walzerschritt wechseln kann: Das war kein Totentanz, sondern eher ein duftiges Sich-Lustig-Machen über solche Klischees wie Walzerseligkeit und Neujahrskonzert. Wofür sich Nelsons hiemit wieder einmal qualifiziert hätte!
In der Rondo-Burlekse des dritten Satzes wurden in dieser Lesart die erschreckenden Abseitigkeiten zelebriert, mit Pauken und Trompeten; aber auch mit „bells on“ wie die Engländer aufgeregt geschwätzige Schilderungen so trefflich charakterisieren. Sprich ironische Distanz prägte diese Passagen. Auch dieser dritte Satz hat seine Traumsequenz – und es war gar nicht leicht, diesen überirdischen Schlummer zu stören. Mahler bot neben den Fanfarenrufen ein ganzes Regiment auf – und Nelsons und die Seinen legten sich gehörig ins Zeug, um den seligen Schlummer zu vertreiben.
Das Adagio ein Wunderhornlied ohne Worte! Faszinierend die absteigende Linie der Ersten Geigen über Akkordfolgen, die in Ewigkeit nie in einer Kadenz, sondern über immer neue Modulationen in immer neuen Sphären landen. Dort wo das Urlicht leuchtet und der Tod keinen Stachel hat. Besser gesagt, weil eben nichts daran pathetisch war, einfach irre gut.
Das Konzert wird am Sonntag (11.8.) um 11 Uhr wiederholt – und live in ORF2 und im Internet auf Stage+ übertragen – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: andrisnelsons.com / Marco Borggreve