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Die Intimität der Stimme

FESTSPIELE / BEGEHREN 

30/07/24 Beat Furrer, in Österreich naturalisierter Schweizer, wird heuer Siebzig. Er arbeitet gerade an seiner neunten Oper. Die dritte, Begehren uraufgeführt 2001 in Graz, erklang konzertant in der Kollegienkirche. Das „Musiktheater in zehn Szenen“, eine eigenwillige Version des Mythos von Orpheus und Eurydike, nötigt Respekt ab und wurde unter der Leitung des verdienstvollen Komponisten zum Klangereignis.

Von Gottfried Franz Kasparek

Furrer, ein stets Neues suchender Erforscher der Welt der Klänge, zählt zu den fruchtbarsten Tondichtern – das vermeintlich altmodische Wort trifft auf ihn zu – der Gegenwart. Traditionelle Oper darf man sich von ihm nicht erwarten. Begehren verwendet Orpheus, die „mythologische Gründerfigur der Oper an sich“, als nach Noten sprechende Figur namens „Er“ und die zunächst ekstatisch singende, aber zunehmend extreme Stimmtechniken benützende Eurydike als „Sie“. Dazu kommt ein sich vornehmlich lateinisch ausdrückender Chor. „Er“ und „Sie“ erleiden das bekannte Schicksal der Trennung. Nur in der Mitte des Stücks ergibt sich annähernd ein Zwiegesang, sonst agieren die Liebenden, besser die „Begehrenden“, an einander vorbei. Das Thema der Sprachlosigkeit trotz vielen Geredes ist sehr aktuell. Da nicht bloß gesungen und gesprochen, sondern viel mehr nach diffizilen Strickmustern geatmet, gekeucht, geflüstert, aufgejault wird, entsteht ein psychologisch fundiertes Vexierspiel menschlicher Gefühle und Ausdrucksweisen, gebrochen durch fulminante Kunstfertigkeit.

Das Kammerspiel funktioniert nur mit elektronischer Verstärkung; für perfekte Klangregie sorgen Peter Böhm und Markus Wallner. Beat Furrer leitet in hingebungsvoller Strenge sein einst von ihm gegründetes, diesmal 15köpfiges „Klangforum Wien“ und das zwölfköpfige, von Cordula Bürgi einstudierte Vokalensemble „Cantando Admont“: Wahre Elitegruppen der Neuen Musik. Kein schräges Zirpen, kein freilich stets exakt kontrolliert wirkendes Tohuwabohu der Klangreize ist ihnen fremd – und alles wirkt irgendwie, als wäre es ein geistvolles Spiel. Die Collage aus meist in Partikeln rezitierten Texten von Ovid, Vergil, Herrmann Broch, Cesare Pavese und Günther Eich ist erstaunlich gut verständlich. Einmal darf der antikem Vorbild verpflichtete Chor in gregorianisch-archaische Tiefen tauchen. Die lateinisch gesungenen Abschnitte sorgen für Ehrfurcht gebietende Distanz.

Das komplexe Geschehen ist aller Bewunderung wert, auch wenn es immer wieder in gellender Schärfe das Gehör strapaziert oder in leiser Klangzerteilung ermüdet. Es fällt schwer, so etwas wie innerliche Anteilnahme zu empfinden. Am ehesten gelingt dies, wenn die phänomenale Sopranistin und Vokalakrobatin Sarah Aristidou mit spürbarer Emotion ihre kommunikativen Probleme artikuliert. Der souveräne Sprecher Christoph Brunner, der die Kunst ausdrucksvoller Monotonie beherrscht und gegen Ende ein Atem-Zirkusstück der Sprachlosigkeit liefert, assistiert ihr dabei aufs beste. „Die Intimität der Stimme“ ist Furrer wichtig und er fühlt sich verpflichtet, das Genre Oper radikal zu befragen. Ob man seine Antworten teilen will und kann, muss jede und jeder für sich selbst entscheiden. Jedenfalls ist es wichtig, dass Festspiele auch Experimentierfelder vorstellen. Und die Ausführenden verdienen sich auf jeden Fall herzlichen Applaus.

Bilder: SFS / Marco Borrelli

 

 

 

 

 

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