Hans Moser verjagt die Juden und landet im Irrenhaus
FESTSPIELE / DIE STADT OHNE JUDEN
28/07/24 Es könnte heute sein. Inflation. Teuerung. Verarmung real oder herbei geredet. Das Heer der – gefühlt – Abgehängten, im Stich Gelassenen. Die Masse der aus gutem oder weniger gutem Grunde Verbitterten. Dazu Politik, Machtgier, Opportunismus und billig erlangte Zustimmung zu radikalen Maßnahmen. „Damals“ wurde die NS-Zeit visionär vorhergesagt. Was wird heute noch werden?
Von Heidemarie Klabacher
Der Roman Die Stadt ohne Juden von Hugo Bettauer erschien 1922, der gleichnamige Stummfilm des Österreichischen Regisseurs Hans Karl Breslauer entstand 1924. Die Festspiele zeigen die vom Filmarchiv Austria rekonstruierte und restaurierte Fassung von 2018. Dazu erklang Olga Neuwirths Musik zum Stummfilm für verstärktes Ensemble und Zuspielung aus 2017.
Man hat beides zusammen – Breslauers Film und Neuwirths klangsinnliche, anspielungsreiche und zugleich beängstigende Musik – schon erlebt. Die Wiederbegegnung bei den Festspielen am Samstag (27.7.) in der Szene Salzburg war besonders beklemmend. Zu aktuell ist das Thema dieser Tage. Zu punktgenau wird der historische Finger in aktuelle gesellschaftliche Wunden gelegt. Es sei erschreckend, wie heute die selben Mechanismen funktionieren, „den Niederrungsreichtum der österreischen Volkssele zu gewinnen“, schreibt Olga Neuwirth.
Die großteils Teils bizarr überzeichneten jüdischen Charaktere – die reichen assimilierten Geschäftsleute und ihre Familien, wie die bitterarmen zugezogenen Juden aus dem Osten oder die Betendenden in der Synagoge – bewegen bei jedem Wiedersehen. Die bitterbös gezeichneten Regierungsvertreter und Volksverhetzer erschrecken anno 2024 umso mehr, als man vergleichbares Personal (nur halt ohne das typische Stummfilm-MakeUp) glaubt auf aktuellen Podien erst jüngst gesehen zu haben. Die Vertriebenen von 1924 wurden in die geistig und kulturell verarmte Stadt Utopia – ein nur wenig verklausuliertes Wien – zurückgeholt, auseinander gerissene Paare auf der Leinwand glücklich wieder vereint. Happy End? Vorläufig. Nur wenige Jahre später folgten, und nicht mehr auf der Leinwand, Judenvertreibung und Holocaust.
Das Ensemble Phace unter der Leitung des Dirigenten Nacho de Paz spielte Olga Neuwirths Musik mit der gewohnten Professionalität und Klanggewalt. Vorab erklang der Zyklus Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben. Variationen für Flöte, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello und Klavier op. 70 von Hanns Eisler aus 1940/41. Und Hans Moser? Er spielt im Film den antisemitischen Rat Bernart, der sich besonders um die Vertreibung der Mitbürger verdient macht und im Irrenhaus endet.
Die Stadt ohne Juden – eine weitere Vorstellung heute Sonntag (28.7.) um 18 Uhr in der Szene Salzburg – www.salzburgerfestspiele.at
Bild: SFS / Marco Borrelli