Auf dem Weg ins Gelobte Land
FESTSPIELE / ISRAEL IN EGYPT
22/07/24 Die aufregende Story steht in der Bibel, Buch Exodus: Gott sendet Plagen über Ägypten, so lange, bis man die im Exil schuftenden Israeliten ziehen lässt. Nicht ohne sie auch noch zu verfolgen. Im Roten Meer schuf Gott endgültig klare Verhältnisse.
Von Reinhard Kriechbaum
Das war ein Stoff wie geschaffen für Georg Friedrich Händel, der sich in London bis dato vor allem als Opern-Impresario einen Namen gemacht hatte, aber zunehmend Gegenwind durch die italienische Konkurrenz verspürte. So wandte er sich dem Oratorium zu und schuf mit Israel in Egypt ein Werk, das seinen Zeitgenossen die Ohren flattern ließ. Eindreiviertelstunden Musik, ausschließlich aus Bibelzitaten zusammengestellt, und über weite Strecken allein dem Chor anvertraut. Dieser erzählt als Kollektiv – als Volk der Israeliten – „seine“ Geschichte. 28 der 39 prägnanten Episoden sind Chornummern, und gleich derer elf folgen im ersten Teil des Oratoriums, in dem die ägyptischen Plagen und die Flucht durchs Rote Meer geschildert werden, unmittelbar aufeinander.
Diese Chor-Zentriertheit war eine Herausforderung für den Musikdramatiker Händel – und es ist natürlich eine Herausforderung für jeden Chor. Für den Monteverdi Choir so etwas wie ein Identifikationsstück. Mit der Gewandtheit, wie sie eben nur für ein muttersprachlich-englischem Ensemble erreichbar ist, wird da berichtet von den Torturen, die über Ägypten hereinbrechen. Da kann man vielleicht noch schmunzeln, wie es im Land und „bis in die Kammern ihrer Könige“ vor Fröschen wimmelt und Händel diese in den Streicher hüpfen und quaken lässt. Aber da kommen ja alsbald „Pest, Blasen und Geschwüre“. Wovon jede einzelne Chor-Stimmgruppe so anschaulich berichtet, wird natürlich von den English Baroque Soloists nochmal ausgemalt. Das wünscht man sich als Hörer eine Klatsche gegen die Schwärme des Ungeziefers und der Stechmücken. Und dann erst die Heuschrecken...
Peter Whelan leitet jetzt die Ensembles, die Sir John Eliott Gardiner 1964, also vor sechzig Jahren gegründet hat. Da hat sich viel bewegt in der Originalklang-Szene, und vielleicht ist es (bei allem Respekt vor den historischen Leistungen Gardiners) gut, dass nun einer deutlich Jüngerer über die chorische und instrumentale Klangrede wacht: Das ist, wie man jetzt wieder hörte und wie es vom Publikum im Haus für Mozart am Sonntag (21.7.) mit Standing ovations honoriert wurde, State of The Art.
Die „dichte Finsternis“, die da über das Land kommt, „dass man sie greifen kann“, wurde gestalterisch nicht weniger ausgereizt als das Untergehen der Ägypter in den Fluten – Händel lässt da Harmonien aufeinander folgen, die einen wirklich versinken lassen. Nummer um Nummer ein Chor-Erlebnis. Was sich da rhetorisch tut in den Stimmen!
Weniger ergiebig ist Israel in Egypt für die Solisten, eigentlich hat nur der Alt (der Countertenor James Hall) eine fürs Wunschkonzert taugliche Arie im pastoralen Dreiertakt. Der Messias ist ganz anders gestrickt. Alle Solisten (Mary Bevan, Amy Wood, Nick Pritchard, Tristan Hambleton, Jack Comerford) sind auch Mitglieder des Monteverdi Choir. Sie kommen vorwiegend im zweiten, Moses' Song überschriebenen Teil des Oratoriums zum Zug, aber auch da hat der Chor das erste Wort. In diesem Gott glorifizierenden Dank- und Jubellied wird nochmal der Zug durchs Rote Meer in allen denkbaren Details beschrieben, was natürlich auch „bühnentaugliche“ Musiknummern bedingt. Händel lässt Gott „schnauben vor Zorn“ und die Polyphonie sich schier überschlagen, worauf die „Fluten erstarren im Herzen des Meeres“ – die Chor-Bässe in mächtiger Einstimmigkeit. Wie es wohl aussieht, wenn sich ein ganzes Volk vom Ägypten nach Palästina aufmacht? Händel gibt seinen Interpreten auch da plastische Leitlinien vor: Die Bewohner Kanaans, die diese Wanderung betrifft, erstarren zu Stein. Händels Musik suggeriert eine träge sich hinziehende Endlos-Karawane.
Bilder: SF / Marco Borrelli