Der Dvořák im Brahms und umgekehrt
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / JAKUB HRUSA
30/08/23 Mit einem Wunschkonzertv verabschieden sich die Wiener Philharmoniker diesen Festspielsommer von Salzburg. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem zweiten Klavierkonzert von Brahms und der Achten von Dvořák – außer dass beiden Werken die vorbehaltlose Liebe der Zuhörerschaft gewiss ist?
Von Reinhard Kriechbaum
Wie weit Interpretationsansätze auseinander liegen können! Mit dem Klang von Brahms' Haydn-Variationen mit den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko vom Vorabend im Ohr – eine hyper-durchsichtige, klassizistisch durchlüftete Wiedergabe – saß man also am Dienstag (29.8.) bei den Wiener Philharmonikern. Am Pult Jakub Hrůša, am Klavier Igor Levit.Das ist eine ganz andere Brahms-Welt, oder genauer gesagt, zwei andere Welten.
Jakub Hrůša und die Wiener Philharmoniker sind sich in Sachen Brahms absolut einig: Sie modellieren schlüssig an jenen Hörbildern, die man für diesem Komponisten in großer Traditionslinie abgespeichert hat. Ein satter, warm tönender Streicherklang, in dem sich die Holzbläser quasi entspannt singend räkeln können. Ein Brahms mit vielen einnehmenden Schmeicheleien, aber immer auch mit der Option des kollektiven Aufrauschens und Aufbrausens. Was halt die satten fünfzig Minuten des leicht zum Ende-Nie-Stück tendierenden Konzerts Nr. 2 B-Dur op. 83 dann doch abwechslungsreich, gar kurzweilig macht.
Zu dieser Kurzweil hat Igor Levit nicht wenig beigetragen. Sein Brahms-Ideal ist wohl ein durchaus anderes. Er lässt im Zweifelsfall lieber das rechte Bein vom Pedal, lässt die vielen Tonkaskaden in glasklarem Leggiero fließen – und weiß dann doch genau um jene Kraft-Punkte, an denen sich die Orchester-Kollegen orientieren und aufrappeln. Diese steuert Levit zielgerichtet und effizient an. Da wissen die Partner, woran sie sind.
Vielleicht, so ging es einem durch den Kopf, wäre Igor Levit an der Seite eines Dirigenten vom Schlage Kirill Petrenkos doch besser aufgehoben. Aber die unterschiedlichen Ansätze – das pauschale Vorwärtsdrängen des Orchesters und der unbeirrt sein pianistisches Filigran spinnende Igor Levit, haben einander ständig herausgefordert. Das ergab stets spannende Dialoge und Richtingswechsel.
„Richtungswechsel“ ist auch ein gutes Stichwort, um eine Verbindung zu Dvořáks Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88 zu ziehen. Das ist ja jene Symphonie, die förmlich überbordet vor melodischen Einfällen. Aus denen spricht sehr oft die böhmische Volksmusik, aber diese Gedanken sind doch eingeknüpft in einen klangsatten, sicherlich nicht zufällig an Brahms gemahnenden Gestus. Beide Werke sind in den 1880er Jahren entstanden, sind einander also zeitlich nahe. Brahms nörgelte heruman dem Ideen-Gesprudel seines tschechischen Freundes. Fraglich, ob das kollegialer Tadel oder bloß Neckerei war. Womöglich schwang sogar ein wenig Eifersucht ob Dvořáks Einfalllsreichtum mit.
Jakub Hrůša hat man bei den Festspielen als mit dem tschechischen Sprach-Idiom wunderbar vertrauten Dirigenten von Leoš Janáček Katja Kabanova kennen gelernt. Sein Sinn und jener der Wiener Philharmoniker für das Musikantentum in Böhmens Hain und Flur – das traf sich in Dvořáks Achter aufs Allerbeste. Das zwischen großem symphonischen Applomb und leichtfüßig-ausgelassener Folklore pendelnde Musizieren war betörend. Immer ließ Hrůša wie selbstverständlich eins ins andere fließen. Und wie er den Finalsatz schließlich knallig steigern ließ, das war ein Jubel-Treiber sondergleichen.
Hörfunkübertragung am 17. September um 10.03 Uhr auf Ö1
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli