Fromm ist da gar nichts, aber voll Hoffnung
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / MUTI
14/08/23 Die Welt sollte mehr (auf) Bruckner hören. Besonders in diesen Tagen geschürter oder begründeter Angst, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Allein das Finale zum ersten Satz von Anton Bruckners „Siebter“ böte Sicherheit, Orientierung und die Überraschung, dass alles auch ganz anders gesehen werden könnte.
Von Heidemarie Klabacher
Die Bruckner nachgesagte Frömmigkeit spielt keine Rolle, wenn als Exeget Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmoniker steht. Da gibt es helle Schattierungen im Unbehausten, und in lieblicheren Passagen dräut das Bodenlose. Selbst die monumentalen C-Dur Gewissheiten bleiben in der Lesart Mutis frei von naiven Heilsversprechungen. Das überirdische Adagio mit dem nächten – Stadt und Erdkreis erfüllenden – C-Dur-Hoffnungsmoment und dem bewegenden klingenden Epitaph auf den 1883 grad verstorbenen Richard Wagner, hätte in der Intensität der Lesart Muti allein ein Konzert getragen. So deutlich wird das selten (Bruckners Siebte hört man ja nicht so selten), dass das Finale des vierten Satzes formal zurückgenommener daherkommt, wie das analog konstruierte Ende des ersten Satzes. Allein diese Zurüchkaltung an am Schluss (Power ist immer noch genug da) taucht den feierlichen Triumphalismus ins Licht aufklärerischer Skepis. Dabei obsiegt die Hoffnung. Bei Bruckner jedenfalls.
Nicht bei Giuseppe Verdi. Von diesem standen mit Stabat Mater und Te Deum zwei der Quattro pezzi sacri auf dem Programm der Matinee am Sonntag (13.8.) im Großen Festspielhaus. Verdi gibt gar nicht vor, dass irgendwo irgendetwas gut werden könnte. Dass irgendwo ein „lieber Vater“ thront. Sein Gottes-Lob hängt sich quasi immer wieder selber auf – im Nichts zwischen extremen Lagen. Das ist ins Extrem getrieben im luxuriosen Ende für einen Solosopran im Dialog mit dem Chor, der einsam und allein der Hoffnung Ausdruck zu verleihen hat. Serafina Starke hat das wunderschön gemacht. Muti zelebriert zelebriert so etwas mit Genuss.
Der Lobpreis der Engel im Stile des gregorianischen Chorals war ein beiläufiges Gemurmel, das dreifache Sanctus ein Akt brutaler Gewalt. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor sang mit Klangmacht, bei viel Vibrato im Sopran, bei recht wenig Textverständlichkeit insgesamt. Dafür, dass Orchester und Dirigent den Chor quasi auf Händen getragen, die Lautstärke in jedem Moment richtig dosiert, mit den wundersamen Übergängen Verdis jeden Stimmungswechsel, jedes Crescendo vorbereitet, aufgebaut und kontrolliert wieder zurückgenommen haben, um Luft und Raum für die nächste Episode zu schaffen – dafür hätten die Sängerinnen und Sänger schon ein paar Konsonanten mehr riskieren können. Der Text des Te deum ist großteils ausgefallen (im vorangegangenen Stabat Mater hat man mehr verstanden). Was aber fast schon egal war, weil Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker jede Textpassage wie mit dem Pinsel ausgestaltet und Worte beinah überflüssig gemacht haben. Da und dort verstanden hat man den Text in den schlichteren, kirchenliedartigen Passagen. Der Musikdramatiker Verdi gestaltet so eine Hymne so psychologisch ausgelotet wie einen einen Macbeth oder eine Traviata. Und Riccardo Muti macht dazu den Konzertsaal zurOpernbühne.
Das programmgleiche Konzert am Dienstag (15.8.) wird um 11.03 wird auf Ö1 live gesendet
Bilder: SF / Marco Borrelli