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Nachtgespinste aus dunkler Zeit

FESTSPIELE / QUATUOR ÉBÈNE

07/08/23 Wenn man sich heuer bei den Festspielen Zeit mit Ligeti nimmt, ist auch ein Blick auf sein Frühwerk aufschlussreich. Etwa auf sein Erstes Streichquartett, das am Sonntag (6.8.) im Großen Saal des Mozarteums zu hören war.

Von Reinhard Kriechbaum

György Ligeti war ein Mittdreißiger, als er im Zuge des Ungarn-Aufstands und der Massenflucht 1956 in den Westen emigrierte. Vom kulturpolitischen Klima in Ungarn in Ligetis Jugend macht man sich kaum mehr eine Vorstellung. Es war geprägt von Isolation und doktrinärer Enge. Bartók war die Leitfigur, an der niemand vorbei konnte und wohl auch nicht wollte. Nicht zu Unrecht hat György Kurtág über Ligetis 1953 entstandenes Erstes Streichquartett befunden, es sei „das siebte Quartett, das Bartók nie geschrieben hat“. Eigentlich schade, dass das Quatuor Ébéne auf dieses Werk das erste Quartett Schumanns a-Moll op. 41 Nr.1 hat folgen lassen und nicht eines der Bartók-Werke.

Métamorphoses nocturnes hat Ligeti seinen Quartett-Erstling genannt. Tatsächlich hebt das vielgliedrige Stück an wie aus einem unbewussten Zustand aus Cello-Tiefen aufsteigend. Aber so mysteriös es da flirrt, mündet diese sich höher schraubende Klangwolke in eine lichte lyrische Geigenfloskel. Diese wird – das ist ein wesenhaftes Moment fürs ganze Werk – sofort wieder weitergereicht an die anderen Instrumente. Ein weiteres sich durchziehendes Gestaltungselement sind prägnante, oft in einstimmiger Wucht gebündelte Motive. Diese Nacht-Gedanken sind wohl nicht frei von Albträumen, doch es gibt auch Heiteres, Charmantes.Der Tempo di Valse-Abschnitt dürfte in einer Anthologie von Walzer-Paraphrasen nicht fehlen. Humor war ja zeitlebens eine Eigenschaft von Ligeti.

Es konnte gar nicht anders sein in den frühen 1950er Jahren: Das ungarische Sprach-Idiom, das Bartók so beispielhaft der Musik anverwandelt hatte, ist in allen zwölf Teilen mit exzessiven Ausdrucks- und Tempounterschieden stets greifbar. Das Quatuor Ébène hat das mit viel Energie aufgeladen, die Brillanz dieser Wiedergabe war beeindruckend. Genau so viel Sinn aber auch für die leisen Töne. Das Stück hält beispielsweise gegen Ende eine Episode mit irisierenden Flageolett-Glissandi bereit, über denen sich ein empfindsamer Dialog von erster Violine und Bratsche entfaltet, bevor ein liebenswert-brummiges Cello-Solo überleitet in einen unerwartet träumerischen Ausklang.

Als Vorspann vor Ligeti hat sich das Quatuor Ébène fürs Streichquartett-Repertoire höchst Ungewöhnliches ausgesucht, eine Auswahl von Fantazias des Henry Purcell. Das ist eine barocke Überhöhung der Consortmusik aus der Renaissance. Seidig im Klang haben die Musiker die natürlich für Gamben gedachten Stücke umgesetzt, wohl balancierend zwischen diesem „alttönerischen“ Anspruch und den plastischen Klangmöglichkeiten, wie sie eben moderne Instrumente bieten. Purcells Kontrapunkt in den Fantazias ist raffiniert, eng, die Linien münden oft in überraschende Dissonanzen. Gar kein schlechter Appetitanreger auf Ligeti hin...

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

 

 

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