Psycho-Thriller. Und soviel Blut.
FESTSPIELE / MACBETH
30/07/23 Während Macbeth die Hexen nach der Zukunft befragt, erfährt – am anderen Bühnenrand – Lady Macbeth vom Gynäkologen, dass sie keine Kinder bekommen kann. Aus dieser Spannung heraus wächst die blutige – psychologisch wie politisch unabwendbare – Tragödie. Zerstückelte Puppen und ermordete Kinder zuhauf. Verdis Macbeth als Psycho-Thriller im Breitwand-Format.
Von Heidemarie Klabacher
Regisseur Krzysztof Warlikowski überlässt nichts der Phantasie. Er legt dort, wo einem eh schon die Haare zu Berge stehen, noch einen Szenenwechsel oder eine Videoprojektion nach. Gern noch eine zweite oder dritte. Etwa den Kindermord zu Bethlehem aus Pasolinis Il Vangelo Matteo während die Kinder von Macbeth' politischen Mitbewerbern abgeschlachtet werden. Eine ganze Volksschule von Kindern wird im Großen Festspielhaus mit-abgeschlachtet. Genauer gesagt, Kind für Kind wird von Lady Macbeth eigenhändig und liebevoll vergiftet.
Wäre spannend zu wissen, wie die Kinder-Betreuer der Produktion ihren Schützlingen das Ganze erklärt haben. Warum sie da so leblos – sprich tot – an der Rampe aufgereiht werden. Aber Kinder wissen, dass es Das Böse gibt... Der Erwachsenen stockte der Atem. Beim Schluss-Applaus begrüßten die Kinder, es sind vor allem Mädchen, ihre berühmten großen Kolleginnen und Kollegen hüpfend und stampfend und tanzend vor lauter Freude und Begeisterung.
Überhaupt Kinder. Regisseur Krzysztof Warlikowski ortet die Triebfeder von Lady Macbeth Handeln im Trauma der soeben diagnostizierten Kinderlosigkeit. Und er führt, ebenso glaubwürdig und reich bebildert, Macbeth' Blutlust auf eine Art Odipus-Komplex-Variante zurück: Wenn man schon selber keine Kinder hat, die einen umbringen können, dann sollen das die Sprösslinge der Feinde gefälligst auch nicht tun.
Einmal sitzt Macbeth im Wohnzimmer und sieht fern – Oedipe re. König Ödipus. Schon zur Ouvertüre laufen Kino und Kopfkino ab. Säugling und stillende Mutter. Bäume im Wind. Der Wald von Birnam? Anfangs eine sonnige Wiese säumend vom Wind sanft bewegt. Am Ende wüst vom Sturm gepeitscht. War das Einbildung, oder ist in den letzten Momenten tatsächlich eine riesige grausige Kröte – Hexenviehzeug – im Geäst zu sehen? All dieser psychologisch-psychoanalytische Background wird von Regisseur Krzysztof Warlikowski und Ausstatterin Małgorzata Szczęśniak zusammen mit dem Licht von Felice Ross und den Videos von Kamil Polak und Denis Guéguin in vielen Schichten, Medien und Farben meist auf mehreren Ebenen gleichzeitig – von Musik und Gesang mal ganz zu schweigen – knüppeldick aufgetragen. Der Geist Bancos wird in unzähligen Klonen gesichtet.
Und es ist stimmig. Es ist erschütternd. Ist nicht zuviel. Das Ganze entfaltet eine Sogwirkung, der sich niemand entziehen wollte, entzogen hat: Der Premierenjubel war überwältigend.
Philippe Jordan, als Einspringer recht kurzfristig für Franz Welser-Möst ans Pult der Wiener Philharmoniker gerufen, kann einen Triumph verbuchen. Selten wirklich laut, für jede Emotion der Vokalisten der Partitur die ideale Klangfarbe entlockend, facettenreich, klangvoll, knöcheltief im Blut watend und immer federnd und unverschämt leichtfüßig: Verdi, wie man ihn sich nur wünschen – und gar nicht so selbstverständlich bekommen – kann. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, einstudiert von Jörn Hinnerk Andresen, brachte ebenfalls Facettenreichtum in Klangfarben und Lautstärke ein, gefährliche Delikatesse im Piano, kontrollierte Opulenz im Forte.
Einen stilkundigeren stimmlich brillanteren Macbeth als den weißrussischen Bariton Vladislav Sulimsky wird man derzeit nicht oft finden. Geschmeidig und wendig, auch in den oft gar nicht geschmeidigen Anfällen von Gewalt, kommt die wunderbare Stimme, die von Registerausgleich und derlei Technischem nichts zu wissen braucht, über die Rampe.
Seine menschlicheren Momente, sind umso bewegender, sein Ende als psychischer und physischer Kriegskrüppel ist erschreckend. Ob Macduff ihn erschießt (der Revoler wird keineswegs stilwidrig gezogen, wir befinden uns in einem Setting der Dreißigerjahre in Italien) oder doch nicht, ändert nichts an dem grausigen Ende. Bei all dem ist Vladislav Sulimsky ein Sänger von jener unaufdringlichen Präsenz, die allen Handlungen, bis in Bewegungen und Gesten hinein, maximale Wirkung verleiht. Die Regie wird daran Anteil haben.
Obwohl sie über ihre Eltern mit italienischem Repertoire aufgewachsen sei, wie die Sängerin dieser Tage erzählte, hat man Asmik Grigorian mit Verdi noch nicht in Verbindung gebracht. Ab jetzt wird man ihn ohne die litauische Sopranistin nicht mehr denken wollen: So leicht, so klar, so brillant, so delikat der Gesang. So verletzend, so verletzlich die dargestellte Figur. Eine Jahrhundert-Besetzung. Aber das ist die Grigorian ja derzeit eh in jeder Rolle.
Nicht nur in der Lesart Warlikowski stehen die Macbethes im Mittelpunkt. Die weiteren Rollen sind nun einmal kleinere Partien, deren jede ebenbürtig und luxuriös besetzt ist: Tareq Nazmi als Banco, Jonathan Tetelman Macduff, Evan LeRoy Johnson als Malcom oder Caterina Piva als Kammerfrau der Lady Macbeth überzeugen.
Bilder: SF / Bernd Uhlig
Fünf weitere Aufführungen bis 24. August - www.salzburgerfestspiele.at