Chaos cooking mit Filetstücken
OUVERTURE SPIRITUELLE / MOZART-REQUIEM
25/07/23 Anstatt selbst zur Bibel zu greifen, gibt es eine entschieden bessere Möglichkeit, einzutauchen in die apokalyptischen Wunderlichkeiten der Offenbarungen des Johannes: sie sich von Martin Schwab vorlesen zu lassen. Da hält Musik von Mozart an Intensität gerade noch mit.
Von Reinhard Kriechbaum
Selbst Könige werden von Entsetzen gepackt und wünschen sich, von einer Geröll-Lawine begraben zu werden, um nur ja nicht Gott gegenüberzutreten müssen... Martin Schwab, der sich so wundersam versteht, jedes Wort auf seine musikalischen Klang hin abzutasten, hebt da die Stimme, schreit plötzlich. Und in den Nachhall hinein das Dies irae des Mozart-Requiems, von Manfred Honeck am Pult der Camerata Salzburg und des Chores des Bayerischen Rundfunks ordentlich angeheizt: Da rieselt’s einem eiskalt über den Rücken.
Ein Wort/Ton-Pasticcio also am Montagabend (24.7.) in der Felsenreitschule, zu dem Manfred Honeck im Programmheft einräumte, man dürfe darin keine „historische Konzeption“ sehen, sondern ein „neues Kunsterlebnis“ sei angestrebt. Anders gesagt: Kraut und Rüben, aber auf Haubenniveau auf den Teller gelegt. Das Mozart-Requiem (in Fragment-Form), sein Laudate Dominum-Schlager, die Maurerische Trauermusik KV 477. Dazwischen Gregorianischer Choral aus mysteriösem Hintergrund. Und eben von Martin Schwab edel Erlesenes – das war Chaos Cooking, aber mit Filetstücken.
Das außergewöhnliche Menü hat gemundet. Nach dem Ave verum als überzuckertem Dessert, von Manfred Honeck im Viervierteltakt anstatt dem notierten Alla breve, also genau im halben Tempo vorgegeben, herrschte anderthalbminütiges Andachts-Schweigen, bevor der Applaus aufbrandete. Wirkung richtet sich manchmal eben nicht nach Aufführungspraxis...
Wiewohl ausschließlich „Routinestücke“, war das alles pingelig geprobt. Manfred Honeck schien jede einzelne Nebenstimme auf ihre Effekt-Möglichkeiten hin untersuchen zu lassen. Die Camerata hat dieses neugierige Bestreben mit Totaleinsatz mitgetragen. Krasse dynamische Kontraste waren Kennzeichen dieser Wiedergabe, die Aufführungspraktiker freilich Stirnrunzeln bereiten hätte können. Kein eintrübendes Vibrato in den Streichern. Im ebenfalls perfekt einstudierten Chor des Bayerischen Rundfunks schier überrumpelnde Pianissimo-Phrasen. In allem und jedem ein Stück weit zu viel, immer an der Grenze zur Übertreibung? Ja gewiss, aber durchaus konsequent und nach Plan umgesetzt. Vielleicht etwas aufdringlich effekthascherisch, aber in keiner Sekunde langweilig.
Ein unverbrauchtes Solistenquartett – Katharina Konradi, Emily d'Angelo, Bogdan Volkov, William Thomas – war am Werk. Und im Hintergrund das Münchner Cantatorium, eine Choralschola ganz state of the art. Ins Mozart-Pasticcio hatte man eingangs noch einen Chor-Klassiker des 20.Jahrhunderts eingestreut, György Ligetis Lux aeterna. Dieses Licht hat manche aufs Requiem eingestimmten Zuhörer nervös hüsteln lassen. Aber es dauert eh nicht ewig.
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Bilder: Salzburger Festspiele /Marco Borrelli