Arsch von der Stute, Schnauze vom Schwein
FESTSPIELE / CURRENTZIS / MUSIC AETERNA
18/08/22 Und wieder ein – verdienter – Triumph für Teodor Currentzis und musicAeterna. Den Tyrannen-Schimpf hatten sie diesmal recht unverblümt in den Noten stehen. Und der Tod hielt reiche – grausige und betörend schöne – Ernte mit Schostakowitsch und Purcell.
Von Heidemarie Klabacher
„Arsch von der Stute, Schnauze vom Schwein. Alle Arzenei soll nur schüren Pest und Aussatz in deinem Gebein...“ Unflätig und ungeniert schimpfen die Zaporoger Kosaken auf den Sultan von Konstantinopel. An wen denken wohl Ukrainer und Ukrainerinnen, wenn sie diese Tirade hören? Das Gedicht von Guillaume Apollinaire ist gerichtet gegen alle Despoten dieser Welt in der aberwitzigen Vertonung vom Dmitri Schostakowitsch. „Du verfaulter Kadaver von Saloniken, blutiger Traum ohne Sinn, deine Augen, zerstochen von Piken. Deine Mutter, die Erzbuhlerin, sie gebar dich stinkend in Koliken...“ Unbändige Wut auf alle Ungerechtigkeit, Willkür und Gewalt spricht aus den Verfluchungen, die erst in der Musik von Schostakowitsch alle Gedanken an mögliche ironische Übertreibung verliert: Das Lied ist die Nummer 8 in der Symphonie Nr. 14 g-Moll für Sopran, Bass und Kammerorchester op. 135. Die insgesamt elf Stücke auf Texte von Lorca, Apollinaire, Küchelbecker und Rilke in diesem symphonischen Liederzyklus reden vom Tod. Vom Tod des Dichters etwa, des Selbstmörders oder des unschuldig Im Kerker der Santé schmachtenden Gefangenen, aber auch vom Tod der „Hexe“ Lorelei.
Die Sopranistin Nadezhda Pavlova und der Bariton Matthias Goerne erfüllten die Figuren mit brillanter Gesangskunst und erschütternder Gestaltungskraft. Sogar das eine oder andere Wort der russisch gesungenen Texte meinte man zu verstehen. Matthias Goerne, der den Kosaken-Schimpf gar herrlich poltern ließ, betörte etwa im sehnsüchtigen Künstlerporträt An Dewlig mit stuppendem Pianissmo.
Chapau für die drei Celisten von musicAeterna in dieser stillen Apotheose. Die Pianissimi der Sopranistin Nadezhda Pavlova erfüllten, erschütterten das Große Festspielhaus, konzentrierten es quasi zum Kammermusiksaal – ob nun in der Celesta umflimmerten Verzweiflung der Lorelei oder am Totenbett des Dichters.
Eine Meisterleistung, die der Sängerin von Purcels der Dido im zweiten Teil ebeneso überragend gelingen sollte. Denn dann starb, nach kurzem Liebesglück und heiterem höfischen Treiben die Königin von Karthago den Liebestod. Eine zunächst seltsam anmutende Programm-Paarung, die durch die „Todesvariationen“ aber einen tiefen Eindruck von dramaturgischer Geschlossenheit hinterließ.
Und es war wirklich nur ein Orchester, das an diesem Abend spielte. Ein Orchester, das stilkundig in zwei Klangwelten entführte, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.Mit Henry Purcells Dido and Aeneas Masque in drei Akten haben Teodor Currentzis und musicAeterna Orchestra einen hundertprozentzigen, geradezu verblüffend überzeugenden klanglichen Kostümwechsel hingelegt. Eine singuläre Vergleichsmöglichkeit – 1969 und 1689 – eine verblüffende Demonstration des Besten zweier musikalischer Zeitalter.
Neben Kate Lindsey als Dido brillierten Konstantin Krimmel als Aeneas und Nuria Rial als Belinda. Souverän Andrey Nemzer als Sorceress, Eleni Lydia Stamellou als Woman, Elene Gvritishvili als First Witch und Anastasia Erofeeva als Second Witch. Die kleineren Partien der Miniatur stellte der grandiose musicAeterna Choir. Fiesere Hexen hat die Musikwelt noch nicht gesehen. Mitreißendere Tänze, abgründigere Verzweiflung und präziser offengelegte musikalische Mittel auch nicht. Die Hexenszene könnte in einer von Meisterhand inszenierten Szene nicht grausiger sein - denn hier herrscht die reine Bosheit. Kein Wunder, das die tiefe Liebe da Verzweifelt.
Bei den Traunsteiner Sommerkonzerten (1. bis 7.9.) wird der Aeneas dieses Konzerts, Konstantin Krimmel, einen Liederabend geben – www.traunsteiner-sommerkonzerte.de
Bilder: SF / Marco Borelli