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Wie cool ist das

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / MUTI

14/08/22 Leben und Sterben, Tod und Verzweiflung – und gar nicht wenig Hoffnung... Die Wiener Philharmoniker unter Riccardo Muti betörten mit der Sechsten Tschaikowski und zwei Miniaturen ähnlichen „Inhalts“ aber unterschiedlichster Mittel. Und mit teufels-roten Lackschuhen.

Von Heidmarie Klabacher

Was eine Sternstunde wirklich ist, das demonstrierten die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Riccardo Mut mit der Sechsten Tschaikowski am Sonntag (14.8.) bei der Matinee im Großen Festspielhaus. Es ist das dritte Salzburg-Konzert der Wiener heuer, das einzige im Zyklus, das dreimal gespielt wird. So kommen gut 2200 Menschen mehr in den Genuss der Früchte einer künstlerischen Zusammenarbeit, die mit ihrer wie selbstverständlich erreichten Übereinstimmung in Anliegen, Atem und Ausführung vom ersten Ton weg staunen machte.

Das immerwährende Auf und Ab von Hoffung und Verzweiflung, Aufbegehren und Resignation in der Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 74 kommt ja, wird der Titel Pathétique gar wörtlich verstanden, schnell einmal „pathetisch“ daher. Keine Sekunde unter Muti. Der Orchestersound transparent, die Linien delikat, das die Sätze verbindende Seufzer-Motiv vom ersten Solo an irrlichternd, immer erkennbar, nie nervend herausgestellt. Im Wortsinn von Psalm 130 ruft da jemand Aus der Tiefe – und trostreich ruft es zurück. Allein die unzähligen Stimmungs-Wechsel im ersten Satz, subtil entwickelt und variiert, ließen staunen.

Die Delikatesse des Monumentalwerks, das leider nur zu oft auch als solches daherkommt, zeichneten Dirigent und Orchester in feinsten Detalis ebenso nach, wie in den großen Linien. Der punktierte Marsch-Rhythmus der Streicher über dem sich die Holzbläser lieblich ergehen und heiter verklingen, um auf einen tiefen gemeinsamen Atemzug erneut aufzublühen... Jedes Detail dieser stupend erhellenden Lesart verdiente Erwähnung und Beschreibung – umso mehr als jedes Detail zugleich organisch gestalteter Teil des großen Ganzen war. Nach dem bizarren, zwischen stampfender Vernichtung und irrlichternder Verwirrung changierenden dritten Satz war die Spannung des fortissimo-Endes so hoch, dass niemand auch nur auf die Idee kommen wäre zu klatschen. Tut man nicht, an der Pforte der Hölle. Und es geht ja direkt hinein in die große Lebens- und Sterbenskrise des verblühenden absterbenden Finales.

Danach inhaltlich genaus das Gleiche, nur im Miniaturformat von Franz Liszts Symphonischer Dichtung Nr. 13 Von der Wiege bis zum Grabe. Das sanfte Wiegen am Anfang wie am Ende des Lebens bleibt in den Ohren. – Obwohl danach noch der bizarre Prologo in cielo aus der Oper Mefistofele von Arrigo Boito über das erstaunte Festspielvolk hinwegbrauste. Eine geradezu absurd riesig besetzte Chor- und Orchester-Miniatur mit Bass-Solisten, ungefähr den Prolog im Himmel von Goethes Faust ausmalend: Ein paar stürmische farbenreiche Minuten des Triumphs für den Bassisten Ildar Abdrazakov, dessen mephistophelisch rote Lackschuhe locker eine ganze Opern-Ausstattung ersetzen, für den grandios wendigen und brillant artikulierenden Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor von Wolfgang Götz und die in Heeresstärke angetretene – flatternde Cherubim wie gebeugte Büßerinnen gleichermaßen farbig charakterisierende – Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. So was Schräges können (und wollen) sich wohl nur die Festspiele leisten. Wie cool ist das.

Das Konzert am Montag (15.8.) wird live übertragen, um 11.03 Uhr in Ö1
Bilder: SF / Marco Borelli

 

 

 

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