Diese ewige Blumenblüherei – zum Kotzen
FESTSPIELE / LIEDERABEND GOERNE - HINTERHÄUSER
05/08/22 „Was soll ich den ab acht Uhr früh machen in der Emigration außer komponieren?“ Hanns Eisler hat zwischen 1942 und 1943 aus Verzweiflung und Langeweile haufenweise Gedichte, vor allem von Bertolt Brecht, vertont. Entstanden ist das Hollywooder Liederbuch. Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser überwältigten mit Eisler, Schubert und Schumann.
Von Heidemarie Klabacher
„Die Stadt ist nach den Engeln genannt, und man begegnet allenthalben Engeln. Sie riechen nach Gold und tragen goldene Pessare. Und mit blauen Ringen um die Augen füttern sie allmorgendlich die Schreiber in ihren Schwimmpfühlen.“ Das ist eine der langsamen eher weich intonierten und zu intonierenden Nummern. Matthas Goerne, mit gewohnter technischer Souveränität, lässt die begegnenden „Engel“ zu einem Spitzenton stimmlich himmelhoch aufflattern ohne den Textfluss zu unterbrechen. Er verleiht den (auch sonst) oft mehr zu deklamierenden, als zu singenden Liedern den Schmelz einer Stimme, für die es Grenzen zwischen Tenor-, Bariton- und Basslage nicht zu geben scheint. Markus Hinterhäuser ist ein zurückhaltender umso facettenreicheren Klanggrund legender Mitgestalter am Klavier. Der Liederabend am Donnerstag (4.8.) im Großen Saal des Mozarteuns war ein Triumph.
Hanns Eisler schrieb seine Lieder, nicht nur, nur aber vor allem, nach Texten von Bertolt Brecht aus dessen vorangegangenen Exilzeiten in Dänemark, Schweden oder Finnland. Mit dem kalifornischen Paradies haben beide gehadert. Man konnte sich nicht konzentrieren in dem einförmig milden ozeanischen Klima, vermisste den Winter im „trübsinnigen ewigen Frühling von Hollywood“. „Brecht beklagte sich auch gesundheitlich. Es wäre im alles zu lau und zu milde und es gäbe keinen Unterschied zwischen den Jahreszeiten und diese ewige Blumenblüherei wäre überhaupt schon zum Kotzen.“
Innerhalb des Liederbuches entstand ein inhaltlich wie charakterlich eigenständiger Mininaturenzyklus vonfünf Hollywood-Elegien, der die Filmwirtschaft auf's Korn nimmt. Weniger „elegisch“, wie man sich das so vorstellt, sondern knapp, präzise, erhellend, ätzend, todtraurig:
„Jeden Morgen mein Brot zu verdienen, geh' ich zum Markt, wo die Lügen verkauft werden...“ Wenn unmittelbar davor Schuberts Gesänge des Harfners gesungen wurden, Wer nie sein Brot mit Tränen aß, wird die Dimension der Not von Exlianten noch drastischer greifbar. (Auch wenn grad Eisler sein „Brot“ mit Filmmusik durchaus erfolgreich verdiente.) Brechts scheinbar nüchterne Analyse Über den Selbstmord – trübe Abende, hohe Brücken, die Stunden zwischen Nacht und Morgen, „und die ganze Winterdzeit dazu, das ist gefährltich“ – endet mit einem Schrei. Hinterhäuser/Goerne haben ihn geradezu filmisch als Schockeffekt aufgebaut.
Und all das angesichts von Krieg und Vertreibung aktuell in Europa heute. Doch wie damals, gibt es auch das heute: „Freunde, die ich gestern nicht kannte, stellten uns Betten in saubere Zimmmer...“
Goerne, Hinterhäuser. Liederabend als Sternstunde in einer Programmdramtaturgie, die ins Herz schneidet: Die wenigen geradezu strategisch ins Hollywooder Liederbuch eingefügten „schönen alten Lieder“ von Schumann und Schubert, alle um Einsamkeit, Unbehaustheit, Fremdsein kreisend, behielten das letzte Wort mit Schumans Abendlied. „Wirf ab, Herz, was dich kränket und was Dir bange macht.“
Bilder: SF / Marcus Borelli