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Der blaue Luftballon der Romantik

FESTSPIELE / SPANISCHES LIEDERBUCH

02/08/22 Ein groß dimensionierter Liederabend mit Wolfs Spanischem Liederbuch im Haus für Mozart. Julia Kleiter und Christian Gerhaher auf der Klavierwolke von Ammiel Bushakevitz. Was wir über den Umweg des Liedgesangs über eigene Vorurteile gegenüber der Lyrik aus dem 19. Jahrhundert lernen können.

Von Erhard Petzel

Wer kann heutzutage noch etwas mit den Dichtungen von Emanuel Geibel und Paul Heyse etwas anfangen? In früheren Tagen haben sie mit ihren Prachtbänden das kulturelle Geltungsbedürfnis des Bildungsbürgertums in dessen Regalen aufgepeppt. Noch weniger heutige Leser werden deren Lyrik noch kennen – und schon gar nicht unvoreingenommen genießen. Als Epigonen geschmäht, ist ihr Ruf bei den Gebildeten nach dem Zweiten Weltkrieg im Keller. Sehen wir deren Gedichte aber mit den Augen von Hugo Wolf, können wir dessen älteren Zeitgenossen auf einmal durchaus einigen Reiz abgewinnen, vielleicht sogar schätzen lernen.

Geibel und Heyse fanden in den alten romanischen Formmodellen von Lyrik ihre Herausforderung und Inspiration. Im Spanischen Liederbuch Wolfs finden sich 44 Vertonungen von Texten der beiden, Großteils Übersetzungen klassischer iberischer Literatur von Lope de Vega, Cervantes, Juan Ruiz, Luís Vaz de Camões, anonymer Texte und eigenes. Dass Wolf nicht nur Wagner verehrte, sondern auch für Barock aus romanischen Landen empfänglich war, kann im Halt nachempfunden werden, der von historischen Traditionen vielleicht ausgeht und das 19. Jahrhundert stilistisch maßgeblich prägte. Während der heutige Mensch im kunstvollen Bau der Gedichte gleich einmal belangloses Wortgeklingel argwöhnt, muss genau dieser Zwang zum sprachlichen Konstruieren für Wolf faszinierend gewesen sein. Dem Artifiziellen in den Texten stellt er das Zwanghafte seiner musikalischen Textur entgegen mit dem Ergebnis mehrfacher Spannungsbeziehungen.

So reibt sich einerseits die fast stur durchgezogene Textstruktur mit der oft monothematisch entwickelten Eigendynamik in der Musik, die andrerseits wiederum im Spiel zwischen Gesang und Klavier höchst komplexe Verbindungen und Kontraste eingeht. Mit dem sensiblen Aushorchen der angesprochenen Emotionen bringt Wolf die Texte zum Leuchten, sodass sich ihre Schönheit vermittelt und ihre Aussagen gehaltvoll zum Tragen kommen. Dieser Komplexität im Zusammenspiel diverser Komponenten will dann auch künstlerisch auf dem Podium entsprochen sein. Folgend der fast paritätischen Aufteilung von Liedern für Frau und Mann wechseln Julia Kleiter und Christian Gerhaher einander ab und ergänzen sich in spannungsvoller Harmonie. Beide dienen in vokaler Vollendung ihren Liedern und formen damit selbst gewählte Spannungsbögen.

Im Gegensatz zu Schumann und vor allem Schubert, die ihre Liederzyklen penibel aufbauen, lässt sich bei Wolf an der vorgegebenen Reihenfolge rütteln. Zwei Pausen trennen drei Konzertteile, wobei der erste zehn geistlichen Liedern vorbehalten ist, die ursprünglich an Jesu Leben orientiert sind. Julia Kleiter eröffnet aber gleich mit dem letzten, den Schmerzensmann als Geliebten direkt ansprechend. Liebe ist die Klammer durch alle Texte in ihren vielfältigen Ausformungen und emotionalen Randlagen.

Dass religiöse Inbrunst zusammen mit galant weltlicher Tändelei Platz findet, mutet durchaus an sich schon historisierend an. Musikalisch geht Wolf aber über seine Vorbilder hinaus im Verhältnis von harmonischer Emotionalisierung zu repetitiven Klavierfiguren. Da ist Ammiel Bushakevitz, einer der letzten privaten Schüler von Dietrich Fischer-Dieskau, der jeweiligen Stimme ein kongenialer und verlässlicher Partner. Die technisch vertrackten Herausforderungen werden zum sowohl anschmiegsamen wie widerborstigen Untergrund mit vitalem Eigenleben.

Durch die Aufteilung der Lieder entstanden trotz der beachtlichen Länge des Programms keine Längen. Konzentration und ungetrübtes Miterleben ergossen sich im Schlussapplaus, wenn man auch auf einen Draufgabe-Reigen zu verzichten bereit war. Sympathisch, wenn durch die Umstellungen einmal ausdiskutiert werden muss, wer dran ist. Magisch, wenn zum Text „Tritt du einher, Und durch das Meer O führe mich zum Hafen!“ plötzlich ein blauer Luftballon zu Boden schwebt. Dergleichen könnte man durchaus einbauen.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

 

 

 

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