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Bewegen und bewegt sein

FESTSPIELE / RIHM-HOMMAGE

01/08/22 Zum Abschluss der „Hommage Wolfgang Rihm“ waren im Großen Saal des Mozarteums die Chiffren zu erleben, in einer Referenz-Aufführung mit dem Klangforum Wien unter der perfekten und anfeuernden Leitung von Sylvain Cambreling. Nicht einmal ein paar von Omikron verursachte Umbesetzungen im 17köpfigen Ensemble beeinträchtigten die souveräne Spielkultur der „Wiener Philharmoniker der Neuen Musik“.

Von Gottfried Franz Kasparek

Mittlerweile spielen übrigens auch die „echten“ Philharmoniker sehr gut zeitgenössische Musik. Und man darf fragen, wie weit ein sich der Einordnung in alle Schulen und Musikideologien verweigernder Meister wie Wolfgang Rihm zur groß geschriebenen „Neuen Musik“ zu zählen ist. In den Jahren 1982 bis 1985, in denen der Chiffren-Zyklus im Wesentlichen entstanden ist, wurde der unbotmäßige Komponist von den Aposteln der reinen seriellen Schule ja sogar noch als altvaterischer „Neoromantiker“ verunglimpft. Einse solche Schubladisierung galt damals als äußerst negative Einteilung. Was Rihm schrieb, war freilich absolut – und absolute! – Musik der Moderne, welche die Verbindung zur Tradition nicht scheute, aber eherne Romantiker eher verstörte. Heute ist sie im besten Sinne „klassisch“ geworden und ihr nun siebzigjähriger Schöpfer ist nach wie vor für geistvolle und listige Überraschungen gut. Er wohnte der Aufführung krankheitsbedingt im Rollstuhl bei und nahm am Ende des Konzerts die stehenden Ovationen des nicht allzu zahlreichen, doch begeisterten Publikums entgegen.

Wolfgang Rihm will erklärter Maßen „bewegen und bewegt sein“, was oben genannte Apostel bis heute mitunter befremdet. Die neun unterschiedlich besetzten Chiffren mit einem von Luis Buňuels und Salvador Dalis Film Ein andalusischer Hund (1929) inspirierten „Bild“ inmitten und einem erst 1988 komponierten, nachdenklichen Finale sind natürlich atonale Stücke. Sie geben dem Publikum die Freiheit, sich die im Titel intendierten, geheimnisvollen Klangzeichen selbst auszumalen.

In den ersten beiden und in den letzten Teilen verblüffen bei aller avancierten Technik melodische Sequenzen, die das Zeug zu wahren Ohrwürmern in sich haben, sowie insistierende Rhythmen, die das avantgardistische Verbot von Wiederholungen lustvoll unterlaufen. Dazwischen dominieren „zerhackte Bilder“, klangliche Eruptionen, „freie Fortsetzungen eines Imaginationsraumes, Suche nach Klangobjekten, nach Klangzeichen, einer Klangschrift“, um den Komponisten zu zitieren. Dies alles ist mit scharfem Intellekt konstruiert, doch dahinter bewegen Spott, Wut, Trauer und durchaus lyrisches Nachsinnen. Rihm, der geniale Selbst-Übermaler, breitet kunstvoll drapiert ein weites Panorama starker Emotionen aus, das bei allem Unterschied der Textur entfernt an eine Mahler-Symphonie denken lässt.

In der klaren Akustik des Saals kamen die schneidend harten und die diskret weichen Ereignisse dieser Meister-Partitur perfekt zur Geltung. Und alle tätigen Musikerinnen und Musiker bewiesen ihre besondere Qualität eines gleichsam kammermusikalischen Zusammenspiels in höchster Intensität.

Bilder: Salzburger Festspiele / Universal Edition (1); Marco Borrelli (2)
Zur Meldung Rubin-Nadel und Wappenmedaille
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Ich heile das nicht mit Musik (Riehm/“Jakob Lenz“)
Die Nachtwache eines Siebzigjährigen (Riehm/“Vigilia“)

 

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