Kein Zurück in die gute alte Zeit
FESTSPIELE / ERÖFFNUNG
26/07/22 „Kunst ist der Grund, warum wir hoffen dürfen, dass all die Verwerfungen dieser Tage am Ende nicht mehr als ein weiteres, unrühmliches Kapitel unserer Zivilisation bleiben werden.“ Dieser Aussage der neuen Festspiel-Präsidentin Kristina Hammer wird niemand widersprechen. Am allerwenigsten Festredner Ilija Trojanow, der betonte: „Die Kunst und der Krieg sind Antipoden.“
„Wir dürfen der Kunst nicht nur weiter ihren Platz einräumen, wir sollten und müssen ihr gerade angesichts dieser Weltlage besonders viel Raum zur Entfaltung geben“, so Kristina Hammer. Kultur-Staatssekretärin Andrea Mayer stellte die Frage, „ob es in dieser Zeit angebracht ist, ein Fest der Kunst zu feiern, das Wort ‚Komödie‘ in den Mund zu nehmen, das Schöne zu genießen.“ Die Antwort könne nur sein, „dass es Platz geben muss für die Freude am Leben“. Es gehe aber nicht um unangebrachte Ausgelassenheit, sondern um Reflexion. „Es geht um Kultur als Gegenmodell zur Barbarei.“ Kunst könne uns, so Mayer, in diesen schwierigen Zeiten ein Vorbild sein: „Sie betont das Gemeinsame. Sie benennt Missstände. Und sie ist unbedingt solidarisch.“
Die Bundesregierung war beim Eröffnungsfestakt durch Vizekanzler Werner Kogler sowie die Minister Alexander Schallenberg, Karoline Edtstadler, Martin Kocher und Susanne Raab beim Festakt in der Felsenreitschule vertreten. Bundeskanzler nehammer widmet sich nach eigener Aussage heuer ganz dem Regieren und fährt nicht zu Festspielen, weder nach Salzburg noch nach Bregenz. Ob das klug und zielführend ist, bezweifeln so manche Kommentatoren. Zu Gast war auch der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso.
Landeshauptmann Wilfried Haslauer betonte „klar und unmissverständlich: Diesen Krieg fördernde oder rechtfertigende Künstlerinnen und Künstler haben ohne Zweifel keinen Platz im Friedenswerk der Salzburg Festspiele und ihrer humanistischen Sendung. Wenn aber darüber hinaus auch noch die Kunst in ihrer Gesamtheit zum Schlachtfeld wird, in dem ihre Werke und auch die Künstler und Künstlerinnen stigmatisiert, ja zensuriert werden, nur weil sie aus einem bestimmten Land, einem bestimmen Kulturkreis kommen, dann hieße das, uns den Kanon unserer europäischen kulturellen Identität zu nehmen. Das dürfen wir nicht hinnehmen“, so Haslauer.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der die Salzburger Festspiele offiziell eröffnete, betonte. „Wir befinden uns in dieser Lage, weil ein Diktator es nicht ertragen kann, wenn Menschen in Freiheit und individuell leben wollen. Gefragt sind nun Solidarität, Geschlossenheit und Entschlossenheit, nationale und europäische, dass wir uns auf die europäischen Stärken besinnen. Lassen wir uns Europa und die EU nicht kleinereden, entwickeln wir ein stärkeres europäisches Selbstbewusstsein und glauben wir an unsere Art zu leben. Das Europa der Zukunft wird anders aussehen. Es gibt kein Zurück in die gute alte Zeit. Es braucht ein Umdenken, um diese Krise zu überwinden. Es heißt nun, energieunabhängig zu werden und nicht zuzulassen, dass unsere Wirtschaftskraft nachlässt aber auch nicht zuzulassen, dass die Menschen in Europa im Winter frieren.“
Auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ging erwartungsgemäß der Autor, Übersetzer und Publizist Ilija Trojanow in seiner Festspielrede ein: „Was uns am Krieg erschüttert, ist nicht nur der Tod, sondern die Vereitelung des Lebens in seiner ausufernden Schönheit. Es ist seine Gewalttätigkeit, auch in der Sprache. Was sich in friedlicheren Zeiten als Stottern und Stammeln offenbart, entwickelt inmitten von Bombeneinschlägen eine unentrinnbare Zwanghaftigkeit. In ihrem Schatten hat alles andere zu verstummen. Alle Ambivalenzen, alle Schattierungen, alle Nuancen. Ratschläge werden brachial zu Schlägen, und aus dem guten Rat wird im Salutierschritt der Verrat. Es wird nicht gesät und geerntet, sondern geplündert, es wird nicht getanzt, es wird exerziert.“ Und weiter: „Das Verhältnis von Kunst und Macht ist sehr komplex. Die Wahrheit des Tages ist nicht die Wahrheit der Nacht, weswegen Kunst fast nie vom Krieg inspiriert, sondern dem Krieg auf mühsamste Weise abgerungen ist. Die Ästhetik ist ein Opfer mörderischer Intoleranz. Die Kunst und der Krieg sind Antipoden.“
Das Mozarteum-Orchester und der Bachchor unter Duncan Ward ließen die Choralkantate Verleih uns Frieden gnädiglich von Felix Mendelssohn Bartholdy hören, weiters den dritten Satz aus Konx-om-pax von Giacinto Scelsi sowie Stille Musik für Streichorchester von Valentin Silvestrov. (Landeskorrespondenz)