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Eine große Landschaft von Menschen

HINTERGRUND / FESTSPIELE / INGOLSTADT

29/07/22 „Die Dichter können alles zum Leben erwecken, und diese Dichterin ganz besonders.“ Das sagt niemand Geringerer als Elfriede Jelinek über die deutsche Schriftstellerin Marieluise Fleißer - 1901 in Ingolstadt geboren und 1974 dort gestorben. Am Montag 1. August versucht man es nach der ersten Corona-Verschiebung dieser Festspiele erneut mit der Premiere von Ingolstadt.

Ingolstadt wird das Stück heißen, mit dem Ivo van Hove seinen Einstand als Regisseur bei den Festspielen gibt (Premiere ist am 27. Juli auf der Pernerinsel). Es ist die Zusammenführung zweier Stücke der Autorin, die der Neuen Sachlichkeit zugerechnet wird: Fegefeuer in Ingolstadt und Pioniere in Ingolstadt. Es ist eine Koproduktion der Festspiele mit dem Burgtheater.

Erstmals sei er mit Marieluise Fleißers Texten in belgien in Berührung gekommen, während seines Regiestudiums, erzählt Ivo van Hove. Das war Anfang der 1980er Jahre, und er habe damals gleich direkt von der Autorin ein Buch gekauft, erinnert er sich.

An den Münchner Kammerspielen habe er Textpassagen aus Fegefeuer in Ingolstadt kennengelernt, in der Regie von Susanne Kennedy, andere Inszenierung habe er vorher nicht gesehen. Überrascht sei er als Filmfan und Bewunderer Rainer Werner Fassbinders auch davon gewesen, dass dieser einen Film aus Pioniere in Ingolstadt gemacht habe. „Wenn man die beiden Stücke nicht kennt, erscheint es als ein Stück“, sagt der Regisseur über seine Fassung. „Es gibt ein einheitliches Bühnenbild, es handelt sich um eine große Landschaft von Menschen.“

Die Jugendlichen in Ingolstadt lebten in einer dunklen Welt voller Hemmungen, Gebote und Verbote, denen sie zu entfliehen versuchen. Das gelingt aber niemandem. „Es ist in gewisser Weise eine einfache Geschichte, die einfach erzählt werden muss“, erklärt Ivo van Hove. Das wichtigste Thema, um das es in dem Stück gehe, seien katholisch geprägte Machtstrukturen. Am deutlichsten werde das anhand der Figur der Olga, die von einem Mann im Dorf schwanger geworden sei. Dieser verlange eine Abtreibung, sie selbst dagegen wolle das Kind behalten. Jedenfalls eine Situation für beide, die nach außen hin nicht gezeigt werden dürfe, so Ivo van Hove. Marieluise Fleißers „sehr katholisch geprägten“ Geschichten seien nicht in allen Ländern verständlich und zu vermitteln, meint er. Er selbst aber fand durch seinen persönlichen Hintergrund einen sofortigen Zugang zu der Autorin. Dargestellt werde hier eine Welt aus Frustration und Gewalt, in der das Gesetz gelte: Wer sich nicht anpasst und zur Gruppe gehört, ist ein Außenseiter und wird zum Sündenbock, mit dem man machen kann, was man will.

Es ist eine Erzählung über die Jugend, also bei jungen Darstellerinnen und Darstellern aus dem Burgtheater-Ensemble gut aufgehoben. Ivo van Hove betont auch das Heutige, dem man nicht eigens durch Aktualisierung nachhelfen müsse. Seine Perspektive sei aber auch nicht eine aus den 1920er Jahren, betont er. „Es ist ein mystisches Stück, wie Shakespeare, es braucht keine Aktualisierung, es ist ganz deutlich in jedem Satz.“

Abtreibung – da kommt einem natürlich die aktuelle Diskussion um den Fall „Roe vs. Wade“ in den USA in den Sinn. Er erzähle immer eine zeitgenössische Geschichte, keine von damals, sagt Ivo van Hove, auch wenn er Oper mache. „Ich nehme nur Stücke, die eine Notwendigkeit für mich haben – für alles andere ist das Leben zu kurz.“ Für ihn ergebe sich die Notwendigkeit, für ein Publikum von heute zu inszenieren. Für Fleißers Schreibweise sei charakteristisch, dass sie seelische Landschaften entworfen habe, die aus dem Inneren, aus dem Dunkel herauskommen.

Angesprochen auf Fleißers speziellen Sprachduktus, bestätigt Ivo van Hove, die Sprache sei in diesem Fall schwierig, daher habe er sie genau studiert. Das sei auch ein Grund dafür, dass Fleißer im Ausland wenig gespielt werde, ihre Stücke seien schwer zu übersetzen. Ihre Sprache sei zwar kein unmittelbarer Dialekt, sei aber aus dem Dialekt heraus entwickelt. Darin liege eine Herausforderung, der die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler aufgeschlossen gegenüberstünden.

„Ingolstadt“ hat am 27. Juli auf der Perner-Insel Premiere - weitere Vorstellungen am 29. und 30. Juli soie am 1., 2., 4., 5. und 7. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Matthias Horn

 

 

 

 

 

 

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