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Satire und Sarkasmus gegen das Vergessen

FESTSPIELE / CURRENTZIS / BABI JAR

20/07/22 Nicht nur in Deutschland und Österreich wurde man über Jahrzehnte nur ungern an den Holocaust erinnert. Auch die Ukraine und Russland haben ihre rabenschwarzen Orte. Einer davon ist unmittelbar in Kiew. Man kann zu Fuß von der Andreaskirche hingehen in jene Schlucht, die heute eher einer gepflegten Parkanlage ähnelt. Sie wurde 1941 für mehr als 33.000 Kiewer Juden zum Grab.

Von Reinhard Kriechbaum

Man mag es ja fast nicht glauben, aber die Eröffnung der diesjährigen Ouverture spirituelle der Festspiele mit Babi Jar, der Symphonie Nr. 13 b-Moll op. 113 von Dmitri Schostakowitsch, war schon geplant Monate bevor der Krieg in der Ukraine ausbrach. Der Ort, der auf Ukrainisch Babyn Jar heißt, wurde dann ziemlich schnell auch Mitteleuropäern ohne Ukraine-Bezug ein Begriff, weil auch dort ein paar russische Raketen landeten, als Kiew ins Visier genommen wurde.

Ob man vorigen Herbst ausgerechnet Teodor Currentzis als Dirigenten des Gustav Mahler Jugendorchesters gewählt hätte? Ob sein Engagement statthaft ist, wurde ausgiebig angezweifelt in den letzten Wochen und Monaten. Aber dieses Werk ist sicherlich nicht eines, das irgendwelchen Diktatoren, seien es kommunistische oder post-kommunistische, nach dem Mund redet. Das Festspielpublikum hat eine eindeutige Antwort gegeben: Nicht eine Gegenstimme, kein Protest gegen Currentzis in- oder außerhalb des Hauses. Da galt die eindringliche Interpretation wohl allen mehr als alle Fragwürdigkeit von Currentzis' einer Nicht-Distanzierung von Putins Krieg. Das bleibe mal so stehen.

Schostakowitsch' Babi Jar-Symphonie ist per se eine Rußland-Anklage. Der damals sehr junge Dichter Jewgeni Jewtuschenko hat mit dem Gedicht eine flammende Anklage gegen das Verschweigen des Gräuels gerichtet, das an den Juden verübt wurde. Er und Schostakowitsch vermissten ein entsprechendes Gedenken und erhoben textlich und musikalisch heftige Anklage gegen den bestehenden Antisemitismus in der Sowjetunion. Es war gerade die Zeit eines gewissen Tauwetters (späte Chruschtschow-Ära), aber diesen offensichtlichen Affront hat die Zensur nicht so ohne weiteres geschluckt. Zwar hat Kirill Kondraschin 1962 die Uraufführung durchgebracht, dann aber musste der junge Poet seinen eigenen Text abmindern. Aber die Symphonie, deren fünf Sätze ja weitere Gedichte und damit manch starken Tobak gegen das politische Establishment enthalten, landete doch auf der Schwarzen Liste.

Dienstag (19.7.) im Großen Festspielhaus: Teodor Currentzis einmal nicht als Pult-Scharlatan, sondern als uneitler, kapellmeisterlich souveräner Lenker eines Riesenapparats nicht nur mit bedrohlichem Schlagwerk. Er hat das Gustav Mahler Jugendorchester so gelenkt, dass hinter und unter den schneidenden Bläser-Attacken eine Vielzahl von kammermusikalisch feinen Einzelheiten heraus kam. Über all dem groß dimensionierten Aplomb so viel Durchhörbarkeit, dass man wirklich jedes Wort des Baß-Solisten und des Männerchors verstanden hat – Dmitry Ulyanow und das Kollektiv (musicAeterna Choir und Salzburger Bachchor) haben da mühelos die Sprachgrenze eingerissen, so anschaulich haben sie ihre Vokalparts gestaltet.

Jewgeni Jewtuschenko und Dmitri Schostakowitsch sind da ja einen höchst direkten Kurs gefahren zwischen ironie und Sarkasmus. Nicht zufällig heißt jener Abschnitt, der in den fünf Sätzen die Scherzo-Position einnimmt Der Witz. Der ruft immer wieder „bin wieder da“, denn „der Witz ist ein tapferer Mann“. Im eindringlichen Adagio-Satz steht der Umgang mit den Frauen zur Debatte. Geradezu fulminant die leise Ironie im Finalsatz, der am Beispiel Galileis krass die Aussichtslosigkeit alles obrigkeitlichen Verhindern-Wollens beschreibt: „Warum man sie mit Dreck beschmierte? Talent trotzt jeder Diffamie.“ Das fasste Schostakowitsch in gefährlicher Leisheit, lässt die boshafte Wahrhaftigkeit hinübergleiten in einen sanften Walzer: Das wirkte in dieser von leisem Witz durchzogenen Interpretation von Teodor Currentzis wie realsozialistisch geerdete Sphärenmusik.

Zwei Minuten Mucksmäuschenstille nach dem letzten Ton. Das klappt nur, wenn eine Botschaft wirklich bei allen angekommen ist. Umso größer danach der Jubel für alle Beteiligten.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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