Unendlich war das Leid
SALZBURGER FESTSPIELE / PROGRAMM 2022 / OUVERTURE SPIRITUELLE
15/12/21 Sacrificium ist der Titel der Ouverture spirituelle. Viel Oper im Konzert und ein „Festreigen von 15 Chören und Vokalensembles aus acht Ländern“. Billig gibt man's nicht. Isabelle Huppert zum Beispiel ist als Jeanne d’Arc au bûcher unter Vertrag.
Von Reinhard Kriechbaum
„Die Überwindung des uralten kultischen Menschenopfers stellte eine der bedeutendsten Kulturleistungen der Frühzeit dar. Im Alten Testament zeugen die Erzählungen von Abraham – dem Stammvater aller drei monotheistischen Religionen – und Isaak, von Jephta und dessen Gelübde davon.“ Daran erinnert Markus Hinterhäuser, der die Ouvertüre spirituelle der Festspiele 2022 unter das Motto Sacrificium stellt. Kateches im Einführungstext zur Konzertreihe: Im Neuen Testament vollbringe „Jesus mit seiner Passion die christliche Heilsmission und bahnt den Weg zu einer Welt des Friedens und der Gerechtigkeit“. Womit wir bei der anlässlich des Jubiläums hinlänglich ausgebreiteten Festspiel-Idee für Salzburg wären.
Geplant sind Werke unterschiedlichster Epochen, der weltlichen und der geistlichen Musik. Darunter etwa Josef Myslivečeks Abramo ed Isacco (mit Václav Luks und seinem Collegium 1704) Giacomo Carissimis Historia di Jephte (geleitet von John Eliot Gardiner und seinen Monteverdi-Ensembles) und Orlando di Lassos Hiobs-Klagen, die originellerweise mit einem Werk von dem georgier Gija Kantscheli verbunden werden. Werke von Händel, Scarlatti, Haydn, Mozart und Rihm reflektieren Leiden und Tod Jesu. Händels Messiah liegt in den Händen von Jordi Savall. Arthur Honegger widmet sein dramatisches Oratorium Jeanne d’Arc au bûcher auf einen Text von Paul Claudel der Geschichte von Johanna von Orléans, die für ihre Visionen und ihren Glauben den Tod am Scheiterhaufen starb – Isabelle Huppert wird rezitieren.
Zu Beginn der Ouverture spirituelle (es geht am 19. Juli los) erklingt die 13. Symphonie Babi Jar von Dmitri Schostakowitsch. Damit startet die Residenz des Gustav Mahler Jugendorchesters, es dirigiert Teodor Currentzis. Das Werk aus basiert auf dem gleichnamigen Poem des russischen Dichters Jewgeni Jewtuschenko: Babi Jar – Hexengrund – heißt jene Schlucht nahe Kiew, in der am 29. und 30. September 1941 mehr als 30.000 ukrainische Jüdinnen und Juden von der deutschen Wehrmacht und einem SS-Sonderkommando erschossen wurden. Gegen Ende der Ouvertüre spirituelle erklingt Wolfgang Rihms Kammeroper Jakob Lenz in einer konzertanten Aufführung, die auf einer Erzählung von Georg Büchner basiert. „Die Stimmen, die nur er hört, sind genauso er selbst, wie die beiden Männer, mit denen er zusammenkommt …“ Der Künstler ist hier zu sehen „als Opfer seiner Wahnvorstellungen und psychotischen Episoden“, so Wolfgang Rihm.
Das Vokalensemble Cantando Admont mit dem Klangforum Wien unter Sylvain Cambreling bringen zuvor als Auftakt zur diesjährigen Rihm-Hommage die Passionsmotetten Vigilia zur Aufführung. Die gleiche Besetzung für Luigi Nonos Ricorda cosa ti hanno fatto in Auschwitz. Dieses Werk umkreist die entsetzlichsten Taten im NS-Regime – „Auschwitz“ ist auch hier zur Formel für das Unvorstellbare geronnen, für den Tod und das Leiden des Einzelnen und gleichermaßen für Millionen von Menschen. Als Musik im Angesicht der Tyrannei sind auch Nonos Guai ai gelidi mostri („Wehe den kalten Ungeheuern“) sowie Diario polacco Nr. 2 zu verstehen, als Aufrufe zum Widerstand gegen die „kalten Mächte“. Tigran Mansurians Requiem wiederum ist den Opfern des Völkermords an den Armeniern gewidmet.
Auch das Achte Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch hat das Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges zum Thema. Ebenso die Klaviersonate „27. April 1945“ von Karl Amadeus Hartmann. Über die Entstehung dieses Werkes schrieb der deutsche Komponist: „Am 27. und 28. April 1945 schleppte sich ein Menschenstrom von Dachauer ,Schutzhäftlingen‘ an uns vorüber – unendlich war der Strom – unendlich war das Elend – unendlich war das Leid.“ Da sind an einem Abend der Pianist Igor Levit, das Hagen Quartett und – für Alfred Schnittkes Requiem – der musicAeterna Choir aufgeboten.
Wie üblich geht die Ouverture spirituelle fugenlos über ins eigentliche Festspielprogramm. So findet die erste Mozart-Matinee im Rahmen der Ouverture spirituelle statt, unter der Leitung von Andrew Manze. Neben dem Offertorium Misericordias Domini und dem Ave verum corpus von Wolfgang Amadeus Mozart erklingen die Symphonie in d-Moll Lamentatione sowie das Stabat Mater von Joseph Haydn. Der Chorus sine nomine wird in dieser Mozart-Matinee sein Debüt bei den Salzburger Festspielen geben.
Das Konzertprogramm 2022 – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Marco Borrelli (1); Sim Canetty-Clarke (1); David Ignaszweski (1); Intermusica-Benjamin Ealovega (1)
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