Turandot goes Jazz
FESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER
30/08/21 Die Protagonisten: der Komponist Paul Hindemith, der Choreograph Léonide Massine und der Maler Salvador Dalí als Ausstatter und Librettist. Die Zeit: während des Zweiten Weltkriegs. Das Ergebnis: fürs Erste keines, dann aber eine Konzertmusik, die das Zeug zum Renner hätte – wenn sie denn einer je aufführte.
Von Reinhard Kriechbaum
Im ersten der beiden Festspielkonzerte der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko am Sonntag (29.8.) konnte man das reißerische Stück kennen lernen: Paul Hindemiths 1944 in New York uraufgeführte Symphonic Metamorphosis of Themes by Carl Maria von Weber. Hindemith war im Exil (er unterrichtete an der Yale University). Léonide Massine bat ihn, für ein Ballett-Projekt Klavierstücke von Weber zu instrumentieren. Salvador Dalí, der sich auch als Librettist eingebracht hätte, schwebte eine Handlung mit Bestandteilen aus Tannhäuser und Tristan vor. Hindemith war entrüstet, nannte die Sache schlicht „idiotisch“. Das Projekt platzte. Aber die Kompositionsarbeit war so weit gediehen, dass aus den Weber-Paraphrasen ein eigenständiges Werk wurde. Und was für eines!
Carl Maria von Weber fiele einem heutigen Hörer überhaupt nicht mehr dazu ein. Schon deshalb, weil kein Mensch die Acht Stücke für Klavier vierhändig kennt oder gar spielt, auf denen die Symphonic Metamorphosis beruht. Den Ursprung als Ballettmusik kann der knapp halbstündige Viersätzer nicht verleugnen. Tatsächlich hat George Balanchine das Stück in den 1950er Jahren in New York choreographiert.
Eine vielleicht etwas rattenfängerische, aber jedenfalls packende Musik: hurtig schwatzend, aufgedreht kommt das neoklassizistisch anmutende eröffnende Allegro daher. Der Clou ist aber das mit Turandot programmatisch überschriebene Scherzo. Ein Ton der Röhrenglocke, ein Halteton der Geigen, Pentatonik der Soloflöte. Die ironisch tönende Chinoiserie nimmt allmählich Fahrt auf, bis sich die Posaunen, Trompeten und Hörner einmengen und dem fernöstlichen Spuk ein Ende machen: Turandot goes Jazz! Aber dann kehrt die Musik doch wieder über den Pazifik nach China zurück (Pauken, Röhrenglocken und Kontrabässe haben da zuerst mitzureden). Es folgt ein Andantino, in dem die Soloflöte eine rechte Charme-Offensive reitet, und zuletzt wird ein deftiger Kehraus im Marschrhythmus geblasen.
Das Stück war in der Neuen Welt angeblich eines der erfolgreichsten von Hindemith. Wenn man es so spielt wie die Berliner Philharmoniker jetzt unter Petrenko, kann man das gut verstehen. Es gehört nachgespielt, wäre auch in Mitteleuropa eine Bereicherung des Repertoires.
Davor und danach Dinge, die Kirill Petrenkos Metier eigentlich weniger sind. Die Oberon-Ouvertüre und Schuberts im selben Jahr, 1826, entstande Große C-Dur-Symphonie D 944. Fast ein bisserl exotisch, wenn man Schubert mit den Wiener Philharmonikern unter welchem Dirigenten auch immer im Ohr hat – und wer hierzulande hätte Schuberts auch als Siebente gehandelte Achte anders inhaliert? Petrenko geht es sehr eigenständig an, setzt auf nachgeschärfte Artikulation viel mehr als auf romantische Anwandlungen. Das Ergebnis wirkt vielleicht ein wenig holzschnitthaft, aber jedenfalls wie eine kolorierte Druckgraphik. An Farbe fehlt es nicht, und die oft zitierten „himmlischen“ Längen weichen unter Petrenko einer formidablen Kurzweiligkeit.