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Wir sehen uns nicht wieder...

FESTSPIELE / GERHAHER

26/08/21 Man weint ja eh gerne mit. Etwa mit der Rose, die da an der Brust der Ballkönigin ihren stolzen Geist aushaucht. Dabei ist das wunderschön klagende Lied Absance aus Hector Berlioz Les Nuits d’été nichts anderes als eine subtil colorierte Variante der grau erstarrten Verlustklagen in Othmar Schoecks Notturno. Christian Gerhaher & berühmte Streicher-Friends verstören und begeistern mit Schoeck, Schönberg und Berlioz.

Von Heidemarie Klabacher

Kammermusik mit Gesang oder Gesang mit Kammermusik? Othmar Schoecks Notturno trägt die offene Antwort im Untertitel Fünf Sätze für eine tiefe Stimme und Streichquartett op. 47. Dem Vokalpart zugrunde liegen acht nachtschwarze Gedichte von Nikolaus Lenau, in denen das Absterben einer Liebe und die daraus resultierende Einsamkeit beklagt werden. Das letzte Gedicht, ein Textfragment von Gottfried Keller, ist pathetisch. Der „Heerwagen“, gemeint ist ein Sternbild, kann nur einen mythischen Tod führen: „Ich spähe weit, wohin wir fahren...“

Der Vokalpart deklamiert, rezitiert dem Textrhythmus folgend. Singt keine „Melodien“. Schleppt sich ohne Ziel und Hoffnung Schritt für Schritt tonal freie Akkordzerlegungen hinauf und hinunter. Jeder Intervall-Sprung ist einer in die Depression. In Summe eine tot-traurige, blei-schwere aber hoch interessante Angelegenheit: Christian Gerhaher findet immer noch Klangschattierungen im scheinbaren Einheits-Grau, deklamiert gnadenlos wortdeutlich die präzisen Analysen eines Beziehungstodes – verkleidet in großteils klassische Volksliedstrophen mit klassischen Reimschemata.

Eingebettet ist der Vokalpart von Schoecks Notturno in den Streichersatz als eine quasi eigenständige fünfte Stimme. Auch spielen die Streicher nicht gewöhnliche Vor-, Zwischen- oder Nachspiele, sondern dominieren das fünfsätzige Werk. Wohl hört man irgendwo im Cello- oder Bratschen-Part den Strom rauschen (im Gedicht Blick in den Strom), wohl fällt einem gelegentlich Mahlers Lied von der Erde ein (zu Lenaus Herbstabend oder Der einsame Trinker). Aber Othmar Schoeck (1886 bis 1957) malt keine Naturstimmungen und verwehrt ohne a-tonal zu arbeiten, jeglichen herkömmlichen tonalen Trost.

Nicht ganz liegen mit 1874 bis 1951 die Lebensdaten Arnold Schönbergs. Dessen Verklärte Nacht - Streichsextett op. 4 wirkte nach Othmar Schoecks fünfzig (und noch viel mehr) Shades of Grey wie pure Romantik. Die nun komplette Streicherformation im Haus für Mozart – Isabelle Faust und Anne Katharina Schreiber (Violine), Antoine Tamestit und Danusha Waskiewicz (Viola) sowie Jean-Guihen Queyras und Christian Poltéra (Violoncello) – betörte mit einer unglaublich „wienerischen“ Lesart. Radikal zupackend in den dramatischen, geradezu gesanglich in den lyrischen Passagen. Die immer wieder mal aufpopenden Dreh-Momente erinnerten an Schönbergs eigene (deutlich spätere) Bearbeitungen von Strauß-Walzern.

Und dann Hector Berlioz Les Nuits d’été op. 7 in der grandiosen Bearbeitung für Singstimme und Streichsextett aus der Feder von David Matthews, geschrieben 2005 für Christian Gerhaher. Beschränkte sich der Sänger im ersten Werk scheinbar auf eine Lautstärke und eine Klangfarbe, ließ der singuläre Gestalter auch in romantischem Überschwang und Wohlklang strikte Kontrolle walten – und brachte die schwelgerisch-schwärmerischen Nummern auf Texte von Theophile Gautier zu umso strahlenderer Wirkung. Man weint ja eh gerne mit. Etwa mit der Rose, die da an die Brust der Ballkönigin geheftet ihren stolzen Geist aushaucht. Und tatsächlich ist das wunderschön klagende Lied Absance von Berlioz/Gautier nichts anderes als eine subtil colorierte Variante der grauen Verlustklagen von Schoeck/Lenau. Um das zu vermitteln, braucht es freilich eine Tiefenschärfe, wie sie nur der präzise analysierende Christian Gehraher und ein so handverlesenes Kammerensemble erreichen. Ein überwältigender Abend.

Bilder: SF / Marco Borrelli

 

 

 

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