Zyklopen-Kammer ohne Sauerstoffgerät
FESTSPIELE / GRUBINGER / PERCUSSIVE PLANET
23/08/21 Martin Grubingers Percussive Planet Ensemble sorgt für massives Auftreten von Zyklonen als Folge der Kulturerwärmung. Georg Nigl schreit in die Zukunft. Kammerkonzert als Dopamin gesteuerte Kraftstrotzerei.
Von Erhard Petzel
Ohne politisch korrekt zu sein, könnte man Schlagwerker als Zwitter zwischen Musiker und Sportler betrachten. Grubinger erklärt die epische Überlänge seines Programms mit dem Umstand, dass dies Festspielen wohl anstünde. In Wirklichkeit gibt sich die ganze Bande wahrscheinlich den ultimativen Kick, wie andere ihn ohne Sauerstoffgerät auf einem Achttausender finden. Eine kurze Pinkelpause wird deshalb zugestanden, weil umfangreich herum geräumt werden muss. Auf einer Bühne, die aussieht wie die gesammelte Verkaufsausstellung diverser Musikhäuser im Messezentrum, auf Seitenbühnen und im Zuschauerbereich. Diese Aufstellung wird final für Xenakis’ Persephassa für sechs Schlagzeuger benötigt.
Da ist bei einem Teil des Publikums der Saft schon aus und die ersten verlaufen sich schamhaft vor dem Ende. Vielleicht steht bei Persephassa auch der Aufwand in einem nicht so glücklichen Verhältnis zur Wirkung, sei es, dass die Komposition zu lange lediglich amorphe Anreize bereithält, sei es, dass die Akustik in der Felsenreitschule das Verschmelzen der Klangereignisse nicht recht fördert, sei es eine vielleicht ungünstige Lage des eigenen Platzes oder was auch immer. Zumindest wird es recht laut.
Der überwiegende Teil der Fangemeinde ließ sich aber auf die vorab schon angekündigte Zugabe ein: Number of Fate von Martin Grubinger senior erlebte als Festspiel-Draufgabe seine Uraufführung. Wer so lange durchgehalten hat, wurde belohnt. Unterliegen als Grundmuster 7er-Takte, so gibt es doch ein erhebliches Maß an Melodik zwischen World-Folk und Take 7. Wenn diese Number of Fate zum Schluss auch das gefälligste Stück des Konzertes war, ist es in keiner Faser banal oder trivial. Auch die extra herein geschaffte Txalaparta (ein baskisches Perkussionsinstrument aus einem Satz von drei oder mehr, über zwei Querträger gelegten hölzernen Klangstäben, die von zwei Musikern mit jeweils zwei senkrecht gehaltenen Stöcken geschlagen werden, lt. Wikipedia) – also die Txalaparta macht was her, wie sie von den aufprallenden Stock-Enden bearbeitet wird. Verlauf, Ideenreichtum und Klangvielfalt sind formal gut austariert und entwickelt.
Das trifft im Wesentlichen auf das gesamte Programm zu, das klanglich vielfältige, rhythmisch mitreißende und formal interessante Werke aufbot, insgesamt aber doch zu viel des Guten vereinte. Dass der Spiel-Trieb zum Sammelsurium an Exotischem nicht der kulturellen Befriedigung ultimativer Schluss sein muss, zeigte Iannis Xenakis’ Kassandra für Bariton, Psalterium und Schlagzeug von 1987. Hier reichen ein paar Holzblöcke und Trommeln für Grubinger junior.
Bariton Georg Nigl schlägt und zupft das Psalterium nebenbei, denn hauptsächlich ist er im Falsett als wehklagende Kassandra beschäftigt und muss für den Chorpart in die Männerstimme springen. Der Text aus Aischylos’ Orestie wird hier zum archaischen Ereignis. Schlagwerk als Vor-, Zwischenspiele und Untergrund, der schräge Klang des Saiteninstruments und der kreischend ekstatische Sprech-Singsang packen, rühren und distanzieren ins leicht Lächerliche gleichermaßen. Eine ungeheure Mischung mit ungeheurer Wirkung auf das Ungeheuer Mensch. Ein absoluter Höhepunkt. Was für eine fulminante Ergänzung zur Elektra.
Mit Péter Eötvös’ Speaking Drums – Vier Gedichte für Solo-Schlagzeug und Orchester, hier für Klavier arrangiert, wird Sprache - wenn auch nicht sinntragend, so doch sehr anschaulich und komisch – zum perkussiven Begleiter eines sinnlichen Stückes. Maki Ishii, Casey Cangelosi, Philippe Manoury, Kalevi Aho, Jacob Druckman und Edgard Varèse werden gespielt und sollten besprochen sein in einem Programm, das leicht zwei Veranstaltungen gefüllt hätte. Bis zu einem Dutzend Musiker beschäftigt Martin Grubinger junior und räumt damit die Instrumentalabteilung des Mozarteums aus. Selber berserkt er ununterbrochen. Der Großteil der Stücke geht auswendig. Von hauchzarten Klangschleiern zum Powerpaket, von der Unisono-Walze zur komplexen Polyphonie, der Klang-Kosmos, in dem der perkussive Planet seine Bahn zieht, scheint unendlich zu sein. Wenn der Konzertabend auch endlich doch zum Schluss kommt.
Bilder: SF / Marco Borrelli