Cancel Culture. Hexensabbat
FESTSPIELE / CAMERATA / GARDINER (2)
22/08/21 Im zweiten Konzert mit der Camerata Salzburg ergründete Sir John Eliot Gardener nach Schumann die für heutiges Verständnis nicht minder aus der Zeit gefallene Kantate Die erste Walpurgisnacht von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Und dann dessen Sommernachtstraum-Musik, mit Unterstützung namhaftester Schauspieler.
Von Erhard Petzel
Bei Walpurgisnacht denkt der durchschnittliche Bildungsbürger an Faust. 1799 entstand aber die Ballade Die erste Walpurgisnacht, in der Goethe eine ziemlich klar antiklerikale Haltung einnimmt. Die Anbetung der alten Götter bei Lebensgefahr durch die radikalen Christen (Karls Kriege gegen die Sachsen bieten laut Harald Hodeiges Ausführungen im Programmheft den Hintergrund) werden in einer komischen Szene aufgelöst, indem den Christen durch Teufelsfratzen solche Angst gemacht wird, dass sie fliehen statt das alte Ritual zu zerstören.
Goethe fand bei seinen Altersgenossen niemand, der ihm diesen Text vertont hätte. Der junge Mendelssohn, unzufrieden mit der Konversion der Familie, fand in dem Stoff wohl die Möglichkeit zur gefahrlosen Rache, zumal die patriotischen Kräfte die germanischen Mythen bereits gegen das Christentum ausspielten, was letztlich in Himmlers abstruse SS-Religion münden sollte.
Goethes Mahnung zur Toleranz hat in ihrer Breite in Zeiten von Cancel Culture und religiösem Fundamentalismus besondere, wenn auch eher allgemeine Gültigkeit. Für Mendelssohn-Bartholdy ergibt sie eine Basis für ein wunderbares Spiel mit sprühenden Ideen und Farben für das Orchester, das feinnervig und mit Witz in der Camerata unter Gardener aufleuchtet.
Der Monteverdi Choir auch an diesem Abend höchst kultiviert und vorbildlich sprachdeutlich. Die Ouvertüre mit aufbrausend heroischen bis zarten, lyrischen Stimmungen, getrieben durch die gesamte Partitur, führt uns von den Winterstürmen in den Aufbruch des Frühlings. Nach diesem romantischen Sacre auf deutschem Boden eröffnet Graham Neal als Tenor-Druide das Brocken-Ritual für Allvater. Kate Symonds-Joy führt mit sattem Alt die Warnung der Weiber vor der Repression der Kinder schlachtenden Überwinder an. Alex Ashworth lässt sich als gestandener Druiden-Priester mit sonorem Bariton davon keineswegs beeindrucken, bis der Druiden-Wächter Christopher Webb im tiefen Bass den Plan ausgibt, die Pfaffenchristen per Teufelsspuk mit ihren eigenen Vorstellungen zu überlisten. Das wirkt auch hervorragend, wie sich in der Flucht der christlichen Wächter zeigt, angeführt vom ängstlichen Tenor Jonathan Hanleys. Köstlich die Charakterarbeit in Klang und Gestus.
Die Sommernachtstraum-Musik – die lässt die Hexenkantate alt aussehen lässt. Zwar führen Jessica Cale und Sam Cobb auch hier als Soprane den Elfenreigen an, die Rollen sind aber Sprechrollen. Mavie Hörbiger steht für Lysander und Puck gerade, Regina Fritsch für Hermia, Titania und die Elfe aus dem Gefolge Titanias, die Puck Contra gibt, und Roland Koch für Oberon und Theseus. Mendelssohn-Bartholdy verzichtet auf eine durchgeführte Handlung, bindet Szenen zu einem Tableau fast im Charakter eines Trailers zu Shakespeare. Musiknummern illustrieren Szenen, bilden aber gleichzeitig auch Übergangsräume zu Handlungssprüngen. Der Frauenchor bringt helles Elfenweben, während das gesamte Orchester stets bereit sein muss, melodramatisch zu unterstützen oder blitzschnelle Einwürfe einzubringen.
Im Grunde genommen eine sehr moderne Herangehensweise an Stoff und Inhalt. Der spritzige Humor dieser Musik kennt keine Banalität, sondern fordert höchste Meisterschaft und Präzision in der Ausführung der komplexen Anforderungen. Begeisterter Applaus für die begeisternden Ausführenden. Gardiner entschließt sich spontan zur Wiederholung des Scherzos als Draufgabe. Das geht etwas zu schnell, nicht alle haben zurückgeblättert. Sympathisch, dass dergleichen im Umfeld allgemeiner Euphorie geschehen kann.