Dreißg Männerärsche
FESTSPIELE / MARIA STUART
15/08/21 Das allererste, das man zu sehen bekommt, sind die einzigen und wesentlichen „Ausstattungsstücke“ - dreißig splitternackte Mannsbilder in Reih und Glied. Über ihnen pendelt an langem Seil das abgeschlagene Haupt der Maria Stuart, mit wallendem roten Haar.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Nacktheit, die eigentlich für Schutzlosigkeit, fürs Ausgesetzt-Sein stehen könnte, ist hier eine ganz andere Chiffre. So breitbeinig, wie sich diese Männer aufpflanzen, sind sie das wortlose Signal einer Männergesellschaft, gegen die kein Ankommen ist. Auch nicht für Königinnen. Bei Schiller hat es die eine – Maria Stuart – (fast) hinter sich, und die andere – Elisabeth – ist mittendrin im Strudel der männlichen Intrigen und Rankünen. Ihrer Macht haftet etwas bemitleidenswert Theoretisches an. Regisseur Martin Kušej lässt die Protagonisten aus dieser fleischlichen Männermasse hervortreten, sie sind Teil davon. Auch Maria im Gefängnis steht vor dieser Phalanx.
An einem langen Seil hängt sie, die Hände an den Rücken gefesselt. Sogar das Tragen eines Kleides scheint ihr versagt, was obendrein eine sexualisierte Atmosphähe schafft. Mit rauer, exaltierter Stimme wird Birgit Minichmayr ihr Unglück hinausschreien, ist sie doch ihrem Hüter Amias Paulet (Rainer Galke) und dessen Neffen Mortimer (Franz Pätzold), dessen Vergewaltigungsopfer sie zuletzt beinah wird, schutzlos ausgeliefert. Fassung wird sie sich erst abringen, wenn ihr Burleigh (Norman Hacker) das Urteil jenes Gerichts verkündet, das sie nie und nimmer anerkennen wird. Dieser Burleigh ist ein besonders übler Bursche, zur Schau getragene Korrektheit geht ihm gleich leicht von der Zunge wie Schleimerei, Jovialität gar.
Mit Blackouts trennt Martin Kušej die analytisch durchgearbeiteten, in Geste und vor allem Sprache präzise gefassten Szenen. Textlich ist's Schiller pur, in einer Strichfassung, die wohltuend viele Seitengedanken stehen lässt. Da schwingt großer Respekt vor der literarischen Vorlage mit, und das tut durchaus gut nach dem doch sehr freien Umgang mit Shakespeares Richard III. durch Karin Henkel vor drei Wochen am selben Ort. Immer ziehen die Frauen den Kürzeren und sind doch dazu verdammt, mitzuspielen. Gar Männern sich an die Brust zu werfen. Bibiana Beglau ist Elisabeth, der die Verhärmtheit ins Gesicht geschrieben steht, deren Körperhaltung oft blankes Entsetzen über die jeweilige Situation, Schockstarre verrät. Der Hosenanzug hilft nicht weiter in dieser Männer-Gesellschaft, die ihre Königin beständig vor sich hertreibt. Sie, die immer höfische Zwänge auf sich genommen hat, fühlt sich vielleicht wirklich angezogen von dem lässig mit Bierdose in der Hand dastehenden Leicester (Itay Turan).
Aber sie kommt auch Mortimer (Franz Pätzold) körperlich näher als nötig. Oliver Nägele als Shrewsbury – das ist ein Vernunftmensch, ein eindringlicher Warner, aber eben auch einer aus dem höfischen Establishment.
Martin Kušej fordert das Sitzfleisch: Zwei Stunden vierzig Minuten, keine Pause. Um so mehr Sog entwickelt seine konsequente Lesart des Schiller-Stoffes. Bildwirksam ist diese ausstattungslose Aufführung im Nichts von drei Wänden allemal. Die Begegnung von Maria und Elisabeth unter einer pendelnden Glühbirne, die einmal das Gesicht der einen, dann der anderen beleuchtet. Ein Sich-Abtasten bis dato einander Unbekannter. Maria reicht der Widersacherin die Hand, und die scheint sie ergreifen zu wollen – und zieht sie dann doch wieder weg, gibt der Glühbirne wieder einen Schubs. Kurz aufflammende Nähe, eine fast aus Verlegenheit geborene Empathie erst, als die Königinnen einander ihr Getrieben-Sein eingestehen. Das bleibt Episode.
Am Ende unterschreibt Elisabeth das Urteil, das sie tief im Herzen doch nicht vollstreckt wissen will und mit vagen Worten dem Sekretär übergibt. Aus der Szene machen Bibiana Beglau und Tim Werths eine beinah groteske Szene. Ihren Namen hat Elisabeth da schon mit roten Buchstaben auf die Rücken der nackten Männer geschrieben. Jener Männer, vor denen sie kapituliert hat. Das böse Ende zelebriert Martin Kušej.
Der besoffene Leicester hat Maria die Beichte abgenommen, und es ist gar nicht klar, ob sie diese letzte Demütigung überhaupt mitbekommen hat. Wie eine Madonna im weißen Kleid, von bodennahem Bühnennebel wie auf Wolken getragen, steht Maria zum letzten Monolog da. Die nackten Männer liegen am Boden, Schwerter wie Grabkreuze über sich. Aber sie werden aufstehen und als tumbe Masse Maria auf ihrem letzten Gang eskortieren. Im selben Nebel dann taucht Elisabeth auf, im engen tiefroten Kleid. Zu spät die Erkenntnis, dass die falschen Zeugen unter Folter ausgesagt haben gegen Maria. Was schert das die Männer?
Einer nach dem anderen macht sich feige davon, auch der scheinbar so philanthropische Shrewsbury. Elisabeth steht lähmend lang alleine da in ihrem psychischen Elend und summt, wie buchstabierend, die Königshymne. Das geht unter die Haut.
Viel Jubel für das Schauspielensemble, fast noch mehr für Kušej. Maria Stuart war die letzte von vier Schauspielpremieren dieses Salzburger Festspielsommers, die einer klugen geschlechterkritischen Dramaturgie folgten. Erst die frivole GLBTQ-Gesellschaft um den Jedermann, die dem Lieben Gott nicht ganz zu unrecht zu bunt wird. Dann Richard the Kid & the King, den eine aller Werte verlustig gegangene Gesellschaft (auch sie gendermäßig ordentlich durcheinandergebeutelt) zum Rohling werden lässt. Als Drittes Hofmannsthals Bergwerk von Falun, in dem ein Sinn-Sucher sein Heil in den Fängen einer hoch-symbolistisch gedachten Frauenfigur, der Bergkönigin, zu finden sucht. Und nun also die beiden in der Männermühle zerriebenen englischen Königinnen...
Zugegeben, der Schreiber dieser Zeilen ist mit einem gar ketzerischen Gedanken aus dieser Aufführung gegangen. Wäre die Welt wirklich besser wenn die Quote stimmte und statt dreißig nackter Lotter je fünfzehn Männer und Frauen dastünden? Vielleicht sollte man das im Setting von Martin Kušej mal testhalber so durchspielen.