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Und es ist doch Musiktheater pur

FESTSPIELE / ZEIT MIT FELDMAN / NEITHER

14/08/21 Selten waren sich zwei so einig: Samuel Beckett konnte sich fürs Genre Oper ebenso wenig erwärmen wie Morton Feldman. Der eine hegte ebenso Misstrauen gegen vertonte Worte wie der andere. Das Ergebnis war Neither. Kein nacherzählbarer Inhalt, eine mehr als vage Botschaft, Bühnentauglichkeit null – aber packendes Musiktheater!

Von Reinhard Kriechbaum

Nicht rekordtauglich ist die Reduktion auf eine Sopranistin, das gab's immer wieder mal. Aber wäre die Zahl der Wörter ein Maßstab – Neither gebührte als Oper wahrscheinlich ein Platz in Guiness Buch der Rekorde. Derer lieferte Beckett nämlich genau 87 ab. Ist aber egal, mit der Semantik hielt's Feldman sowieso nicht, Neither besteht in der Hauptsache aus Vokalisen. Und am Anfang überhaupt nur aus einem einzigen gesungenen Ton. Der dafür auf Langstrecke.

„Der Ton wird sehr schön ausgesungen“, schrieb Feldman an Beckett. Aber was tut sich nicht alles rund um diesen einen Ton. Pure Malerei, wenn etwa Kontrabässe und große Trommel einen in sich oszillierenden Klang entwerfen, etwas Flächiges, das rhythmisch von quirligem Leben durchpulst wirkt. Überhaupt – Leben. Für Feldman'sche Verhältnisse geht’s rund in Neither. Der Meister der Langsamkeit, des notorischen Zwangs zum Stillstand, hat in dieser seiner Schaffens-Spätphase nicht nur von graphischen Partituren auf konventionelle Notenschrift umgestellt. Im Fall von Neither kam auch ordentlich Drive à la Minimal music hinein, der freilich immer kontrastiert mit dem Flächigen. Da wird der eine Vokal-Ton um je einen Halbtonschritt nach oben und unten ausgeweitet, und diese sterotyp durchgehaltene melodische Wellenbewegung trifft auf gehaltene, fein abgestufte Zwölftonakkorde. So spannend kann's hergehen, auch wenn für einen oberflächlichen Hörer eigentlich „nichts los“ ist.

Sarah Aristidou war die Solistin in diesem letzten Konzert in der Fetspiel-Reihe Zeit mit Feldman. Sie hat ihre Stimme erblühen lassen, und das wirkte wie in Millimeterarbeit eingeschrieben in den Raum. Die Kollegienkirche weckt ob der Nachhallzeiten ja bei Musikern wie Zuhörern gleichermaßen nicht selten Misstrauen. Sarah Aristidou hat dann Schäuflein um Schäuflein an Expressivität nachgelegt und einen imaginären Bogen gespannt bis zu jenem finalen Furioso, dem ein gerüttelt Maß an Unerbittlichkeit eignet. Verdienter Jubel dafür, wie die Sopranistin Tonschönheit und Energie-Attacke in Gleichklang brachte.

Das klappt natürlich so nur, wenn im Orchester das Chroma bis ins Letzte stimmt. Alle Achtung vor dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien. So durchsichtig, klar strukturiert, wie zum Angreifen plastisch und ja, schmeichlerisch oft im Klang: Da wusste der Mann am Pult, der kurzfristig eingesprungene Roland Kluttig, ganz genau, wie er die Gewichte verteilt haben wollte. Und das Orchester hat seine Vorgaben wohl zu hundert Prozent umgesetzt.

Neither – das ist viel Arbeit für Analytiker der Form und Harmonie, und die Text-Exegeten haben mit den nebulosen Schatten-Bildern des Samuel Beckett auch nicht wenig zu tun. An diesem Abend aber war die Wiedergabe geeignet, die Emotion der Hörer unmittelbar zu wecken. Eben doch eine „Oper“. Dem Werk geht nur scheinbar alles Gattungsspezifische ab.

Vor diese 55 Minuten setzte man ein anderes Stück des späten Feldman mit dem nüchternen Titel String Quartet and Orchestra. Da fand der Komponist 1973 zu einer sehr eigenen Lesart von „Concerto grosso“. Auch das ist keineswegs Feldman der ultra-langsamen Lebensart. Die vier „Solisten“ – das Minguet Quartett – bilden jeweils einen Klang-Nukleus, an dem sich die Instrumente des Orchesters meist solistisch oder in kleinen Gruppen messen. Da werden einzelne Melodiefloskeln aus dem Quartett überhöht oder imitierend aufgegriffen, oder es wird ein Flageolett-Kontinuum des Quartetts wie von außen eingefärbt – die Farbmischung ist stets ein Thema

Auch diesem Stück kann man analysierend zu Leibe rücken und wird ihm doch schwerlich beikommen. Besser, sich einfach nur hineinziehen lassen in ein mehr oder weniger punkthaftes Geschehen. Das ist ganz durchsichtig, aber nie fadenscheinig – schon deshalb, weil es eigentlich keinen Faden gibt, sondern ein wie im Augenblick sich fügendes Patchwork. Ein Ende dieses in sich ruhenden Schönen kann und mag man sich gar nicht vorstellen in den gut zwanzig Minuten – aber es kommt, unaufdringlich und klar, wie die abschließende Bestätigung einer erfüllten Form.

Hörfunkübertragung am 20. August um 19.30 Uhr in Ö1
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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