Aufwärmen für Nono zu Disco-Musik
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12/08/21 Auf einen harten Trommelschlag folgt ein zarter Ton der Flöte als Antwort – Intolleranza 1960 von Luigi Nono sei für den Zuschauer eine Berg- und Talfahrt der Emotionen, sagt Regisseur Jan Lauwers über seine Neuinszenierung in der Felsenreitschule.
Von Anne Zeuner
Warum das als azione scenica bezeichnete Stück von Luigi Nono ein Meisterwerk ist? „Intolleranza ist zeitlos und immer gültig. Im Titel steht zwar 1960, aber es ist 2021 genauso relevant wie damals“, sagt er. Einiges fühle sich an wie ein Faustschlag ins Gesicht, dabei gebe es ebenso viele zarte, sensible Elemente in der Musik. Natürlich sei die zwanzigminütige Folterszene schockierend, aber die Form in Verbindung mit der Musik mache die Szene „akzeptabel“.
Dirigent Ingo Metzmacher beschreibt die Musik als archaisch, sie sei sehr organisiert und nach Plan geschrieben. „Mit Herzblut“, sagt der musikalische Leiter, der am Pult der Wiener Philharmoniker steht. „Dem kann man sich nicht entziehen. Nonos Musik hat eine überwältigende Kraft.“ Nach der Durchlaufprobe sei er „emotional erschöpft“ gewesen.
Bereits eine Woche vor der Premiere, an einem Punkt, wo beispielswiese gerne noch Korrekturen an der Beleuchtung vorgenommen werden, sind sich Dirigent und Regisseur einig, dass alles passt. „Ich kann den Protagonisten sagen – nun liegt es in Eurer Hand“, sagt Jan Lauwers, der auch für Bühne und Video verantwortlich zeichnet. Im Durchlauf habe in der Folterszene etwa spontan ein afroamerikanischer Darsteller gerufen „I can’t breathe“. Das sei nirgends niedergeschrieben, aber es sei seine Entscheidung und eine starke Botschaft.
„Ich habe das Gefühl, dass wir hier Hierarchien horizontal weiterentwickeln können“, sagt der Regisseur. Seine Arbeit beruhe auf Freiheit. Natürlich seien viele Positionen fixiert, aber eben auch einige improvisiert. Fast zweihundert Menschen sind auf der Bühne zu sehen: Tänzer und Tänzerinnen von BODHI PROJECT und SEAD, Sänger, Chor, Schlagwerker. „Das ist ein politisches Statement, dass auf dieser 48 Meter breiten Bühne all diese Menschen zusammenarbeiten nach der Corona-Pause“, sagt Jan Lauwers. Es gehe um Migration, um Bewegung, um Menschen, die auf dem Weg sind.
Wie emotional die Reise mit dieser Oper werden würde, habe er sich gar nicht ausmalen können, sagt der Regisseur. Er habe einen sehr multikulturellen Ansatz verfolgt, habe Künstler aus Sri Lanka, Südafrika und vielen weiteren Ländern auf die Bühne geholt. Gerade nach Bewegungen wie #blacklivesmatter und #metoo habe er als weißer Regisseur diese Ansätze aufnehmen müssen in seine Arbeit, erklärt er.
Von seinem Sänger-Ensemble zeigt sich Dirigent Ingo Metzmacher sehr begeistert: Sean Panikkar (Un emigrante) habe den musikalisch schwierigsten Part, er habe einige hohe C’s zu singen und habe diese selbst bei den Proben immer mit Bravour ausgesungen. Sarah Maria Sun habe in ihrer Rolle als La sua compagna hingegen die schönste Musik von allen. „Sehr hohe Soprane haben bei Nono Tradition“, sagt er. „Ich liebe auch die Farbe des Chors. Es ist äußerst schwierig, diese Partie auswendig zu singen.“ Wer Teil des Chores und wer Teil der Tänzer ist, sei oft nicht so leicht auszumachen. Chorsängerinnen und -sänger seien es ja nicht unbedingt gewöhnt, zu tanzen, ergänzt Jan Lauwers. Doch sein Choreograph Paul Blackman habe eine sehr gute Idee gehabt: Aufwärmen zu Disco-Musik. „Das öffnet den Körper und hat dem Chor die Angst vor dem eigenen Körper genommen“, sagt er.
Auf der Bühne werden neben Tänzern, Sängern und Chor auch Musikerinnen und Musiker zu sehen sein. Die Felsenreitschule sei ein besonderer Ort, mit dem er wunderbar arbeiten könne, sagt Ingo Metzmacher. Er verteilt sein Orchester im Bühnenraum, so ist etwa der Orchestergraben ziemlich hochgefahren. „Es gehört ja bei dieser Oper alles zusammen.“ Die Bläser sitzen auf der linken Seite, die Streicher rechts, die Pauker spielen auf der Galerie, und im linken Eck der Bühne sitzen zwölf Drummer. „Das ist ein irrsinniger Klang. Ich bin sehr glücklich“, sagt Ingo Metzmacher. Am Anfang der Oper steht ein Einleitungschor, dessen Klang die Zuschauer von hinten, von vorne, von links und von rechts erreicht, teilweise per Zuspielung. Erst dann beginnt das Orchester zu spielen.
Einen Protagonisten ergänzt Jan Lauwers im zweiten Teil der Inszenierung: einen blinden Poeten. „Ich hoffe, dass man in dieser Figur Hoffnung findet“, sagt er. „Ich habe diese Figur eingeführt, weil wir in Zeiten von Social Media in sehr viel Vulgarität leben. Wir haben die Poesie im Leben verloren.“
Was sie sich wünschen für die Aufführungen? „Dass das Publikum mit offenen Ohren in die Vorstellung geht“, sagt Ingo Metzmacher. „Ich wünsche mir, dass sich das Publikum einlässt“, sagt Jan Lauwers. Es gebe sowohl musikalisch als auch visuell sehr viel Information in diesen anderthalb Stunden. Umso wichtiger sei es, das Gebotene im Moment zu genießen.
Die Ausstellung Nono & Vedova in Salzburg – Partiturskizzen, Fotos und Dokumente von Luigi Nono sowie großformatige Werke, Entwürfe und Projektionen von Emilio Vedova – ist bis 31. August für Festspielgäste jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn und in den Pausen der Vorstellungen im Haus für Mozart sowie in der Felsenreitschule zu besichtigen.