...ich habe Musik gemacht, so wie ich atme
FESTSPIELE / RSO / METZMACHER
08/08/21 Friedrich Cerhas Spiegel sind eigentlich ein „Bühnenwerk für Bewegungs-gruppen, Licht und Objekte“. Das Monumentalwerk aus den Jahren 1960/61, konzertant und gesamt erst 1972 in Graz uraufgeführt, harrt bis heute einer szenischen Lösung. Vielleicht ist es auch besser, dass diese Ikone der Klangflächenmusik dem Konzertsaal vorbehalten bleibt.
Von Gottfried Franz Kasparek
Die Felsenreitschule ist wie schon 1996 zum Siebzigsten. nun auch jetzt zur „Nachfeier“ des 95. Geburtstags des Komponisten (am 17. Februar) ein idealer Rahmen. Das riesige Orchester füllt die gesamte Bühne, was allein schon ein Hinweis auf die Probleme einer szenischen Produktion ist. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien hat das Werk sozusagen seit 1972 am Repertoire. Damals und vor auch schon wieder einem Vierteljahrhundert in Salzburg stand Cerha selbst am Pult. Nun ist es Ingo Metzmacher, der als getreuer Sachwalter und souveräner Gestalter die Klänge zum Leuchten und die Dramatik des Finales zur Geltung bringt. Weder die vielfach geteilten, unglaublich nuancenreich agierenden Streichergruppen – mit dem Konzertmeister am letzten Pult, da die oft sehr luziden Klangschichten gleichsam von hinten aufgerollt werden – noch die untadelige Bläserkompanie und schon gar nicht die perfekte Schlagzeugbatterie lässt irgendwelche Schwierigkeiten erkennen. Wahrlich, ein souveränes Orchester der Neuen Musik – und dass es seinen Schubert, Mahler und Berg auch gut kann, kommt dem oft geradezu aufregend lebendigen, ja durchaus schönen Klangereignissen sehr zugute.
Haben diese „Spiegel I-VII für großen Orchester und Tonband“ - das technische Gerät kommt nur punktuell zum Vorschein, als ein Instrument unter sehr vielen anderen – denn ein Finale? Ja, denn Friedrich Cerha, der sich bald nach diesem Jahrhundertwerk wieder neue Herausforderungen im Bereich der freien Tonalität gesucht hat und in den letzten zwanzig Jahren zum sensibelsten, die Tradition kreativ belebenden Kammermusik-Komponisten unserer Zeit geworden ist, verbindet die Erkundung neuer Möglichkeiten jenseits aller Systeme, explizit auch des seriellen Korsetts der Darmstädter Schule, mit großem Atem und bezwingendem Ausdruck, Dies ist keinen Takt lang reine Kopfmusik, sondern immer auch direkte Aussage, emotionale Geste, mitunter theatralische Aktion.
Und dahinter steckt, was diesmal sehr klar wurde, eine gewaltige Bogenform, gespannt über fast eineinhalb Stunden, eine Neuerfindung der alten Symphonie. Vom pochenden Rumoren des ersten „Spiegels“ über quasi still stehende, doch in sch faszinierend vielschichtige Flächen, ein an Vogelstimmen – und im Falle eines Fötensolos sogar exakt an Beethovens „Pastorale“- und Naturlaute gemahnendes Scherzo neuer Art bis hin zu den „Spiegeln VI und VII“ mit ihren energievollen Entladungen samt jäh wieder vorhandenen, einprägsamen Motiven und Endzeitstimmungen geht die musikalische Reise.
Mit sehr wenigen Ausnahmen begab sich das Publikum im vollbesetzten Auditorium konzentriert auf diese Reise und spendete am Ende großen Applaus. Friedrich Cerha, einer der größten lebenden Komponisten, war zwar offensichtlich nicht anwesend – den Jubel musste die vom Dirigenten hoch gehaltene Partitur entgegennehmen. Aber der alte Herr wird davon hören. Und lassen wir ihm, beglückt, wie wir von seinen Klängen sind, den letzten Satz: „Ich habe nie für Heilserwartungen oder Menschheitsbeglückungen gearbeitet, ich habe Musik gemacht, so wie ich atme.“
Hörfunkübertragung am 13. August um 19.30 Uhr in Ö1, 30. August um 20.05 Uhr BR Klassik
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli