Die Seele ist ein abgrundtiefes Land
FESTSPIELE / DAS BERGWERK ZU FALUN
08/08/21 Ein Urknall, nur langsam geht der Vorhang auf. Ein Trümmerfeld aus Hohlziegeln. Da schleppt sich mühsam der alte Torbern dahin. Ein Bergwerks-Untoter seit zweihundert Jahren. Erlösung könnte er finden, wenn er der Bergkönigin einen Menschen zuführt. Elis Fröbom schneit hinein in diese apokalyptische Welt, die fatal seinem Seelenzustand gleicht.
Von Reinhard Kriechbaum
Irgendwie sieht der Pfundskerl Marcel Kohler, der jetzt im Landestheater die Hauptrolle im Bergwerk zu Falun spielt und dort alle Mitspielenden um mindestens einen Kopf überragt, wie sein Kollege Lars Eidinger drüben als Jedermann aus. Vielleicht eine bewusste Anspielung aus der Gunst der Stunde heraus. Zwei Pfundskerle, in deren Seele es rund geht, weil der Tod dräut.
„Die Zeit ist ein sonderbar Ding“, wird Hugo von Hofmannsthal dereinst der Marschallin im Rosenkavalier in den Mund legen. Als noch nicht 25jähriger hat er im hoch-symbolistischen Drama Das Bergwerk zu Falun den Seelensucher Elis auf Zeitreise geschickt. Der Seefahrer, versuchts an Land, und dort gleich im tiefsten Schacht. Keine halben Sachen in Sachen Tiefenpsychologie! Das Wort „Beziehung“ kennt Elis höchstens als abstrakten Begriff, erfahren hat er eine solche nur als Episode. Der Matrose, mit dem er damals Hand in Hand an Deck gesessen ist, den hat das Wasser vom Deck gespült. Jetzt ist Elis in der alten Heimat, die er nie als solche erlebt hat. Ein Wunder, dass er die Bergkönigin, Sinnbild für vages, aber immerhin ahnbares, zumindest ersehntes Glück, Oberhand gewinnen wird über die irrende Menschenseele?
Eine solche ist, wie wir von Schnitzler wissen, ein Weites Land. Hier ein abgrundtiefes. Recht belesen und schwülstig artikuliert sich diese Seele beim unausgereiften Hofmannsthal. Der Rotstift tut Not und wurde hier auch fleißig angesetzt, um den Touch der Proseminararbeit eines Neo-Freudianers ein wenig rauszubringen.
Auch die anderen auf der Bühne schleppen reichlich Ungemach mit sich. Ein jeder, eine jede hat geliebte Menschen verloren. Statt Analytiker-Couch wäre ein Matratzenlager gefragt. Diesen Bühnentext auf eindreiviertel Spielstunden und sechs Spieler einzukochen, hatte man alle Dramaturginnenenhände (Marion Tiedke) voll zu tun. Er kommt viel weniger sperrig herüber, als er auf dem Papier steht.
Wenn Elis kurzzeitig Fuß fasst in dieser Welt, Zutrauen, ja Liebe findet bei der jungen Anna, der Tochter des Bergwerksbesitzers – da bricht kurzzeitig eine Art Gründerzeit aus. Die Ziegelsteine werden mit vereinigten Kräften zu einigermaßen geordneten Mauern ums Drehbühnenrund geschlichtet. Es geht aufwärts mit dem Tiefbau, aber Elis' Seele tritt auf der Stelle.
Man ahnt es sowieso: Das wird nur das Amphitheater abgeben für den leisen, aber antikenhaft-unerbittlichen Showdown. Da bekommen die entscheidenden Szenen den nötigen Raum. Die junge Anna (Lea Ruckpaul), die so erbarmungswürdig zerbrechlich wirkt neben dem pfundigen Marcel Kohler, durchschaut schnell, dass das nichts wird mit Hochzeit und Lebensglück. Sie wird den Trübsinnigen nicht halten können, er muss hinunter zur Bergkönigin. Weg also mit dem Brautkleid, das sie entschieden in einen Hohziegel stopft wie in eine alte Schachtel. A propos Hohlziegel: Durch einen solchen hat Elis in einer der Szenen zuvor seine Hände gestreckt – eine zentnerschwere Handschelle...
Regisseur Jossi Wieler hat viele sehr anschauliche Szenen entworfen und psychologisch klar durchgezeichnet. Dass es nichts wird mit der Siche nach Erfülltheit und Glück in einer sinnlentleert-unheilen Welt, da muss man heutzutage nicht viel nachschärfen. Das Hofmannsthal'sche Fin de siècle spricht ausgiebig für sich. Das Textschnipseln hat der Sache nur gut getan. Annas Großmutter (Hildegard Schmahl, zurückhaltend charismatisch), erzählt die Geschichte vom Bergwerk zu Falun in der Version von Johann Peter Hebel (die Story geistert ja durch die Literaturgeschichte, Hiofmannsthal hat sich unmittelbar bei E.T.A Hoffmann bedient). Das ist notwendig zum Auskennen, weil von Hofmannsthals deutlich personenreicherem Drama ja nur Episoden stehen geblieben sind.
Es ist kein Abend zum Übermütig-Werden, aber er überzeugt mit überschaubarem Konzept und einprägsamen schauspielerischen Leistungen. Ganz vorne natürlich André Jung als Der alte Torbern: Da schleppt einer die Last der Welt mit sich und macht nicht viele Worte drum. Auch die Bergkönigin (Sylvana Krappatsch) ist keine große Selbst-Artikuliererin. Die elegante Dame im weißen Hosenanzug ist einfach als Lichtfigur da, wenn's in Elis' Seele zapfenduster wird.
Das Bergwerk zu Falun ist eine Eigenproduktion der Festspiele, zum Hundert-Jahr-Jubiläum eine Rarität eines der Gründerväter. Warum nicht. Ob Hofmannsthal das zu Lebzeiten nicht edierte und unaufgeführte Stück wirklich auf einer Bühne hätte sehen wollen? Die Frage stellt man sich natürlich.