Die Liebes-Dinge sind kompliziert
FESTSPIELE / COSI FAN TUTTE
07/08/21 Corona geschuldet hat man im Vorjahr den Rotstift angesetzt an Così fan tutte. Die Produktion hat sich trotzdem als derart schlüssig erwiesen, dass man sie heuer ohne die wieder mögliche Erweiterung übernommen hat. Obwohl zweieinhalb pausenlose Stunden mit Maske in nun wieder prall gefüllten. beengenden Reihen eigentlich eine Zumutung am Rande der Folter sind, stellte sich wieder das große Mozart-Erlebnis ein.
Von Gottfried Franz Kasparek
Und so sei hier explizit auch das sehr disziplinierte Publikum vor den Vorhang gebeten, welches die Wiederaufnahme am 6. August trotz der widrigen Umstände nicht nur „durchgesessen“, sondern auch gebührend bejubelt hat. Und dies gilt, alles in allem, überhaupt für das Festspielpublikum. Ausnahmen gibt es erstens immer und zweitens bestätigen sie die Regel.
Das Große Festspielhaus ist nicht unbedingt der ideale Raum für ein diffiziles Kammerspiel von sechs Personen und einem selten eingesetzten Hintergrundchor, auch nicht für ein „Mozart-Orchester“, wobei zu bedenken wäre, dass die Komponisten im 18. Jahrhundert ihre Werke nach der Raumgröße besetzt haben. Die Wiener Philharmoniker wissen, wie man eine goldene Mitte zwischen Original und Tradition finden kann, musizieren in leicht geschärfter Schönheit und erfreuen mit herrlichen Bläsersoli und, obwohl fast vibratolos, betörend singenden Streichern. Joana Mallwitz dirigiert mit einer sensiblen Mischung aus straffem Spielwitz und tiefem Ernst, sie verhetzt nichts, atmet mit den Sängerinnen und Sängern und setzt das von Benjamin Schneider perfekt und gefühlvoll bediente Hammerklavier außerhalb der Rezitative nur selten und sehr dezent ein.
Was die Kürzungen betrifft, vermisst man die beiden Herren-Arien im zweiten Akt mehr als die ohnehin oft ausufernden Rezitative, in denen der Rotstift extrem gewaltet hat. So entsteht ein eigenartiges, durchkomponiertes Musiktheaterstück – vielleicht war Mozart ohnehin auf dem Weg dahin, man denke an La clemenza di Tito.
Und vor allem ist im strahlend weißen, klassizistischen, die ganze Bühne erfüllenden Saal dem Regisseur Christof Loy im Verein mit Johannes Leiacker (Bühnenbild) und Barbara Drosihn (Kostüme) ein wahres Meisterstück an sinnfälliger Personenführung und unprätentiöser Bildkraft gelungen, ganz ohne Tiere, herunterstürzende Gegenstände und andere Beigaben, fast ohne Requisiten, ganz konzentriert auf das Karussell menschlicher Beziehungen. Mitunter führt die doppelbödige Komödie von der wandelbaren Liebe zum Lachen, mitunter bleibt einem dieses im Halse stecken, wenn sich im zweiten Akt die Melancholie letztlich unstillbarer Sehnsüchte ausbreitet. Und wenn mitten im Partnertausch die weiße Wand sich öffnet und ein mächtiger Baum erscheint, kommt auch schattenhafte Romantik ins Spiel. Und gespielt wird von den sechs Menschen auf der Bühne mit Herzens- und Sinneslust und auch körperlich so aktiv und stimmig, als würden sie sonst in Schauspielhäusern auftreten.
Elsa Dreisig ist Fiordiligi – was für eine Stimme! Was für ein Sopranleuchten in der Höhe! Und wie sich aus der anfangs kühlen Blonden Leidenschaften schälen, stellt sie in eine Reihe mit den größten Vorläuferinnen. Ähnliches gilt für die grandiose Singschauspielerin Marianne Crebassa, die als Dorabella im Furor und in der Verzweiflung berührt und deren im Prinzip balsamischer Mezzo metallischen Kern gewonnen hat. Andrè Schuen ist als Guglielmo nicht nur ein gestandenes, erotisch aktives Mannsbild, sondern auch stimmlich ein famoser Gestalter mit wohligem und doch akzentuiertem Bariton.
Bogdan Volkov singt Un aura amoroso in bezwingendem Mozart-Belcanto. Sein lyrischer Tenor kommt aus bester russischer Schule, sein Spiel ist natürlich, seine Verwirrung glaubwürdig.
Lea Desandre findet als Zofe Despina mit leicht geführtem Silbersopran die rechte Mitte zwischen jugendlicher „Coolness“ und einfühlsamer Charakterisierung. Als Notarius darf sie im Finale auch ganz traditionell komisch krächzen. Johannes Maria Kränzle, ein profilierter Charakterdarsteller mit immer noch virilem Bariton, spinnt als Don Alfonso auch mit Körpereinsatz seine philosophischen Fäden, in denen er sich mitunter selbst verheddert. Der Wiener Staatsopernchor, bestens einstudiert von Huw Rhys James, kommt aus dem Off und zeigt sich beim Schlussapplaus.
Und was ist das Ende der Verwirrung der Gefühle? Nun ja, die Paare des Beginn, die Blonde und der Dunkle, die Dunkle und der Blonde umkreisen einander so lange, bis sie wieder in der Anfangsstellung verharren. Christof Loy empfindet dies als „Einladung, dieses komplizierte Leben zu genießen“. Dazu kann man mit Mozart und da Ponte, die darum wussten, nur viel Glück wünschen. Ein Glück ist ganz sicher diese Aufführung, ist dieses neue, wundersame Mozart-Ensemble.