High noon bei den Lovern in Neapels
FESTSPIELE / L'ARPEGGIATA
07/08/21 Der frustrierte Liebhaber, der bei der Angebeteten nicht landet, tötet mit Steinwurf einen Singvogel. Aus Eifersucht, weil der gefiederte Freund schöner singt als er. So geht italienisches Temperament. Christina Pluhar und ihr gar wundersames Originalklangensemble L'Arpeggiata haben das Feuer noch ordentlich angeheizt.
Von Reinhard Kriechbaum
Nicht ganz das, was man sich als Normalverbraucher unter Canto lirico vorstellt? So heißt die Festspiel-Reihe, in die dieses fulminant wirkungsvolle Konzert am Freitag (6.8.) eingebunden war. Da mutierte das Haus für Mozart jedenfalls für gut anderthalb Stunden in einen neapolitanischen Campo oder einen Campiello. Man konnte sich gut Bänkelsänger vorstellen, die vielstrophige Moritaten aus dem prallen Volksleben in den Straßen hören lassen.
Doch halt – wir hatten es hier nicht mit italienischen Cantautori zu tun, sondern – erstens – mit sechs höchst stilkompetenten, in die Musik des 17. Jahrhunderts eingefuchsten Sängerinnen und Sängern. Und zweitens mit „komponierter“ Musik. Die liegt freilich in den Regalen von Archiven. Die wenigen Notenzeilen auf geduldigem Papier lassen meist nicht annähernd ahnen, welchen Farbenreichtum und wieviel Lebendigkeit man da rausholen kann. Dazu braucht's aber eine Gruppe wie L'Arpeggiata und seine ambitionierte Leiterin, die Musikologin und Theorbenspielerin Christine Pluhar.
Die Vokalisten: Eine jede und ein jeder auf seine Weise stimmvirtuos und wortakrobatisch – und weil diese Stücke ja unmittelbar danach verlangen: bekennende Rampensäue alle sechs. Wenn die Mezzosopranistin Luciana Mancini in die Rolle einer liebestollen Pazza schlüpft, kriegt man einen Heidenrespekt vor solchem Temperamentsgewitter. Der Komponist Pietro Antonio Giramo hat auch das männliche Pendant, also den Pazzo, in all seinen Verrücktheiten beschrieben. Das ist der eingangs erwähnte Singvogel-Killer, dem der Bass João Fernandes die Gefährlichkeit eines Mafioso gab. Ein Kabinettstück lieferte der Tenor Alessandro Giangrande ab mit der anonym überlieferten Tarantella Lo guarracino. Eine harmlose Liebesbeziehung zwischen Schwalbenschwänzchen und Sardine führt ob eines eifersüchtigen Thunfischs unversehens zu einer Massenschlägerei im Meeresvolk. Wenn man diesen Text drauf hat, findet man sich auf der Speisekarte eines italienischen Fischrestaurants gut zurecht.
Zum Steinerweichen Vincenzo Capezzuto mit der Edelschnulze Dicitencello vuje von Rodolfo Falvo (einem kurzen Ausflug aus dem Seicento ins frühe 20. Jahrhundert). Ein Guststück für ein frühbarockes Liebesduett lieferten die Sopranistin Céline Scheen und der Countertenor Valer Sabadus mit Chi vidde più lieto.
Ein Sonderkapitel sind die Weihnachtsmusiken aus dem Neapel des 17. Jahrhunderts. So, wie beim Salzburger Adventsingen die Hirtenkinder einen Schleuniger fürs Jesuskind vorbereiten, wird’s dort, im Schatten des Vesuvs, eine Tarantella. Dafür gab es in diesem Konzert gleich vier Beispiele.
Mehrmals kam eine Tänzerin aufs Podium, Anna Dego. Das war stimmig, weil diese Musik ja wirklich in die Beine geht. Bei allem vokalen und tänzerischem Feuer lohnte es, die Ohren auch auf die Instrumentalisten zu richten. Etwa auf die fein synchronisierte Gruppe aus Barockgitarre, Erzlaute, Chitarrone, Theorbe, Chittara batentte – was es nicht alles gibt... Recht imponierend, was der Zinkenspieler Doron Shervin an dem Abend geleistet hat, im Dialog mit den Streichern ebenso wie mit den Sängern. L'Arpeggiata – das ist High noon an historischer Aufführungspraxis auf der Höhe unserer Zeit.