Kein Königreich für ein Pferd
FESTSPIELE / RICHARD THE KID & THE KING
26/07/21 Eigenhändig hat Richard dem arglosen Lord Hastings einen Plastiksack über den Kopf gestülpt und nun steigert sich der König in einen wahren Blutrausch hinein. Er reißt seinem Opfer die Gedärme aus dem Leib, windet sich einen Strang wie einen Lorbeerkranz um den Kopf , wiegt sich mit dem blutigen Rest in einer Art Rauschtanz.
Von Reinhard Kriechbaum
Wie angewurzelt stehen die (wenigen) Augenzeugen da, und Lord Buckingham stößt nur kurz hervor, dass davon wohl nicht nach draußen dringen darf. – Was ist da geschehen? Was hat aus Richard einen solchen Wüstling, nein, einen gemeingefährlichen Psychopathen werden lassen, eine Bestie ohne alle Skrupel?
Da muss man schon weiter ausholen und bei jenem Shakespeare-Stück beginnen, das die Historie vor der Thronbesteigung Richard III. ausleuchtet. Also bei Eddy the King (bei Shakespeare Heinrich VI.). Da können die Salzburger Festspiele quasi bei sich selbst einhaken, denn das fröhliche Morden in den Häusern York und Lancaster haben Tom Lanoye und Luk Perceval an diesem Ort – auf der Pernerinsel – schon 1999 im Königsdramen-Epos Schlachten! hinlänglich ausgeschlachtet. Aus dem damaligen Zwölf-Stunden-Marathon zieht Karin Henkel nun textlich den hundertminütigen „Vorspann“ zum eigentlichen Königsdrama Richard III. Da erfahren wir von der Geburt des „Monsters“, das mit den Füßen voran und schon mit Zähnen im Mund geboren worden ist. Verlacht und gemobbt von Kindesbeinen an, nein, noch bevor es auf diesen überhaupt hätte stehen können. Die Liebe, wird Richard als Halbwüchsiger sagen, habe ihn „schon im Mutterleib verlassen“ und weiterhin „gemieden wie die Pest“.
Ein Pferd hat er sich schon gewünscht, bevor er dafür ein Königreich hätte geben können. Und er hat es bekommen. Er reitet auf dem Schaukelpferd, als man ihm die abgeschnittenen Köpfe seines Vaters und seines Bruders Rutland hinknallt. Auch diese in Nylonsäcken verpackt. Die ultimative Traumatisierung, die Richard regungslos hinnimmt. Heutzutage bekäme einer wie er für welche Untaten auch immer mildernde Umstände und eine psychologische Intensiv-Therapie. Gab's nicht im England des 16. Jahrhunderts.
Drum also das Blutvergießen. Gefühlt alle fünf Minuten ein Mord, das braucht auf zwei Königsdramen gerechnet schon dreieinhalb Stunden Netto-Spielzeit. So tickt Richard, so tickt seine Welt, die Ausstatterin Katrin Brack auf eine Scheibe ohne jedes Inventar reduziert hat. Vom Himmel hängen Planeten. Richards Welt ist ein rundes Spielfeld, und sein Spiel folgt grausamen Regeln, die ihm die ramponierte Psyche eingibt. Immer wieder wird er selbst aufschrecken, die mangelnde Mutterliebe einklagen. Der latente Hass, das Unterbewusstsein sind immer die Stärkeren. Dieses Psychodrama könnte man viel rascher erzählen, aber es entginge einem viel großes Theater. Großes Schauspieler-Theater mit starken Bildern ohne jede Maschinerie.
Karin Henkel ist eine, die mit praller Drastik so umgeht, dass daneben unsere nicht gerade blässliche moderne Medienwelt alt und fahl aussieht. Auf dieser Bühne geht’s ab, dass einem gelegentlich das Blut in den Adern stockt.
Den Mords-Kerl Richard hat Karin Henkel in dieser Koproduktion der Fstspiele mit dem Schauspielhaus Hamburg weiblich besetzt, mit der fulminanten Lina Beckmann. Das erhöht nicht nur die Fallhöhe zwischen Mensch und Bestie. In einer Bravourleistung an Konzentriertheit zeichnet diese Schauspielerin die Dämonie seelischer Urgewalten und sie führt zugleich vor, wie beängstigend folgerichtig psychosoziales Ausgeklinkt-Sein und berechnendes Kalkül ineinandergreifen. Dieser Despot in der Gewalt-Spirale handelt so, weil es für ihn der schlüssige Weg ist nach all den Kindheits-Traumata. Wer ein Leben lang mit dem Drachen kämpft, wird zum Drachen, sagt ein chinesisches Sprichwort. Lina Beckmann wird als solcher Entwicklungs-Drache zuletzt blindlings mit dem Maschinengewehr rundum ballern und verzagt nach Mama und einem Pferd rufen – und kein Königreich anzubieten haben. Da fühlt man nur überwältigendes Mitleid für diese Figur.
Standing Ovations für Beckmann, aber auch für ein fulminant aufeinander abgestimmtes Ensemble, wie man es so auf Salzburger Festspielbühnen schon länger nicht gesehen hat. Das Queere hat besetzungspolitisch System. Kristof von Boven ist nicht nur der dünnbeinig-schwächliche König Heinrich VI., der als Untoter immer wieder auftaucht und zuallerletzt zu einem Epilog ausholt, der nichts Gutes für die Königs-Nachfolge ahnen lässt: „Gemeinsam werden wir eine Geschichte der Hoffnung schreiben“, kündigt er mit hinterfotzig-treuherzigem Blick an. Eine gefährliche Drohung. Kristof von Boven ist aber auch Königin Margharetha, Prinz Edward und Lady Anne – ein multi-gegendertes Sammelsurium von nur scheinbar schwachen Figuren. Auch die Mehrfachbesetzungen haben, wie der Wechsel im Geschlecht, System. All diese Charaktere sind ja nicht eindimensional. Kate Strong ist einmal Edward IV., und als Herzogin von York (Richards Mutter) macht sie ihrem Sohn das Leben noch zur Hölle, nachdem er längst der Kinderstube entwachsen ist. Bettina Stucky ist einmal Richards Bruder George und dann Königin Elisabeth.
Selbst in emotionalen Szenen und in solchen mit praller Gewaltentladung findet die Regisseurin skurrile Ansagen der Akteure, die einen kurz auflachen lassen. Nicht nur in jenen der Leibwächter (Sachiko Hara als Catesby und, hühnenhaft daneben, Alexander Maria Schmidt als Ratcliffe). Paul Herwig als Lord Buckingham macht einen jener Typen, die sich wohl in jedem Machtzentrum umtreiben und denen man lieber nicht die Hand geben möchte. Für Maik Solbach als Lord Hastings und Michael Weber als Lord Stanley gilt: Blutgruppe null ist auch falsch, wenn ein König zum Aderlass schreitet. Diese Randfiguren beschäftigen einen beim Nachhausegehen nicht weniger als das Schicksal des Richard. Auch ein durchknallender Despot braucht ja das passende Umfeld. Katrin Henkel hat es differenziert ausgelegt. Das Premierenpublikum war außer sich vor Begeisterung.