Mit kompromissloser Stimme
FESTSPIELE / JAHRHUNDERT-REDEN / ELISABETH ORTH
24/08/20 Am Samstag (22.8.) war in Salzburg Jedermann-Tag. Vor hundert Jahren wurde die Moralität zum ersten Mal hier aufgeführt. Dass die Stadt aus dem Häuschen deshalb geraten wäre, lässt sich nicht sagen. Aber es waren tatsächlich schon am Vormittag im Festspielbezirk einige verhaltene Jedermann-Rufe zu hören.
Von Werner Thuswaldner
Hundert ist ein beträchtliches Alter. Zumindest in Salzburg nehmen immer mehr jüngere Leute an, die Menschen hätten hier vor hundert Jahren so gesprochen wie sie es in Hofmannsthals Stück tun. Stimmt aber definitiv nicht. Uraufgeführt wurde der Jedermann schon 1910, und zwar im Zirkus Schumann in Berlin. Darüber ist viel zu wenig nachgedacht worden. Möglicherweise liegt hier der Schlüssel zum Verständnis. Der Zirkus ist bekanntlich die Wirkungsstätte der Clowns. Vielleicht ist alles nicht so ernst gemeint wie es klingt.
Um zwölf Uhr mittags war in der felsenreitschule Elisabeth Orth an der Reihe. Sie las pausenlos Texte vor, die in den Festspieljahren vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Eine kühne Mischung. Auch eine kurze Passage aus dem Jedermann war dabei. Sehr viel von Stefan Zweig, der unentwegt von einem produktiven Zusammenwirken der europäischen Länder schwärmte. Sehr viel von Hofmannsthal, der sich den Kopf über das eigene Schreiben zerbrach und nichts über sein Wirken für die Festspiele verriet.
Bei der Fülle des Materials war es erstaunlich, dass vor lauter Theoretisieren die Lebenswirklichkeit in der Zwischenkriegszeit nicht zur Sprache kann. Eindruck machte, wie die Journalistin Berta von Zuckerkandl den Auftritt des hohen Nazi-Tiers Franz von Papen im Jahr 1937 schildert. Die österreichische Bundesregierung hatte ihn ohne Not eingeladen. Der Stardirigent Arturo Toscanini schaute jedenfalls sehr böse drein und kam nie wieder nach Salzburg.
Elisabeth Orth gab zu erkennen, dass sie wußte, wovon sie sprach und bewies erstaunliches, pausenloses Durchhaltevermögen.