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Schwellen-Musik

FESTSPIELE / WEST-EASTERN DIVAN ORCHESTRA

17/08/20 In diesen besonderen Zeiten ist das West Eastern Divan Orchestra mit Daniel Barenboim in vergleichsweise kleiner Besetzung unterwegs. Das bedingt Literatur-Optionen, die sich (auf dem Papier) ungewöhnlich ausnehmen, aber im Konzert sich schön zusammen fügten.

Von Reinhard Kriechbaum

Das Nebeneinander von Wagners Siegfried-Idyll und Schönbergs Erste Kammersymphonie? Das eine Werk hat Barenboim am Sonntag Abend (16.8.) im Großen Festspielhaus sehr struktur-bewusst spielen lassen, eher geradlinig, transparent in der Phrasierung und so gar nicht schmeichelnd-sentimental. Da ist plötzlich der markante Hornruf nicht mehr so wesensfremd gegenüber jenem Hornsignal, das bei Schönberg gleich auf die ersten Streicherakkorde antwortet. Im Gegenzug: In der Ersten Kammersymphonie, diesem Schwellenwerk zur Atonalität hin aus dem Jahr 1907, das doch noch ganz in der Melodienseligkeit des späten 19. Jahrhunderts verankert ist, richtete Barenboim alle Aufmerksamkeit aufs Cantabile. Die von den äußerst konzentrierten fünfzehn Solisten des West Eastern Divan Orchestra mit aller Konzentration mitgetragenen Botschaft: Schönberg gab das „funktionierende“ Musik-System alles andere als leichtfertig auf. Und: Die steht haargenau in der Mitte zwischen Salome (uraufgeführt 1905) und Elektra (1909). Es waren spannende Jahre, in denen viel offen war, was die zukunft der Musik anlangte.

Emmanuel Pahud hat schon bei Schönberg engagiert mitgespielt, inter pares sozusagen, aber nicht als primus (obwohl die Flöte in dem Werk auch viel zu sagen hat). Dann war Pahud Solist in Pierre Boulez' Mémoriale. Fein, wie die sechs Streicher und zwei Hörner mit teils irisierendem Flimmern auf seine motorisch bewegten, erreghten, gleichermaßen tonlich veredelten Flötengirlanden reagiert haben. Feinste, gut ausgehorchte Kammermusik.

Barenboims Naturell ist nicht das Zuschlagen: So stand am Ende Beethovens Große Fuge B-Dur op. 133 in der Streichorchesterfassung. Oft lyrisch aufgehellt, aber doch nicht verharmlosend (Beethovens Tonsprache ist in diesem Werk beispiellos schroff und radikal). Auch da war klar: Es ist Musik an einer stilistischen Schwelle, und auch Beethoven hat nicht leichtfertig das Alte über Bord geworfen. Da durfte in Barenboims Interpretation sogar zeitweise ein Anflug von Wehmut mitklingen.

Rundfunkübertragung am 3. September um 19.30 Uhr in Ö1, weitere Sendetermine (u.a. ARTE Concert und fidelio) auf www.salzburgerfestspiele.at/uebertragungen
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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