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Klavier-Wegweiser und „A Mensch“

FESTSPIELE / BEETHOVEN-ZYKLUS / IGOR LEVIT

16/08/15 Von Wilhelm Backhaus ist der Ausspruch überliefert, sein Leben wäre ganz anders verlaufen, hätte Beethoven 16 und nicht 32 Klaviersonaten geschrieben. Igor Levit ist mit seinen 33 Jahren noch viel zu jung für eine Lebensbilanz – aber von einem, der Beethoven so spielt, wäre der gleiche Ausspruch wenig verwunderlich.

Von Reinhard Kriechbaum

Beethoven stand etwa in der Lebensmitte, als er 1801 die Klaviersonate op. 28 mit dem Beinamen Pastorale, und das Sonatenpaar op. 27, die beiden Sonaten Quasi una fantasia schrieb (von denen die zweite als Mondscheinsonate in die Musikgeschichte einging). In seinem achtteiligen Sonatenzyklus bei den Festspielen hat Igor Levit zuerst Werke unterschiedlicher Entstehungsjahre gemischt. Nun, gleichsam in der Zielgeraden, schwenkt er ins Chronologische. Die Sonaten Nr. 13 bis 16 zusammen zu fassen (zu den genannten Stücken kam noch die G-Dur-Sonate op.31/1) macht Sinn. 1801/2 hat Beethoven pianistische Zwischenbilanz gezogen und zugleich Wegweiser neu aufgestellt: die Pfeile auf jenes Sonatenbündel und jenen Gipfel hin, dem Igor Levit die letzten beiden Konzerte morgen Montag (17.8.) und am Freitag (21.8.) widmen wird. In Richtung auf Opus 111...

Diesmal, am Samstag (15.8.) zur Nachmittagsstunde im Haus für Mozart, aber vorerst der Kosmos des quasi “mittleren“ Klavier-Neutöners. In sehr unterschiedlichen Facetten und mit einer Übermenge an interpretatorischen Perspektiven, wie sie eben der Pianistik des Igor Levit eignen: Wenn dieser Jung-Meister des querständischen Notenlesens im ersten Satz der Pastorale die Finger sich festbeißen lässt an jenem knappen Motiv, das Beethoven als Ziel der Durchführung wählt – da ist klar, dass hier keine „gewöhnliche“ Reprise kommen kann, sondern eine Paraphrase gefragt ist. Levit zögert die Generalpause davor weit hinaus. Wie innehaltend, die Ideen neu ordnend, phrasiert er das eingangs Gehörte. Er bricht es nochmal mit Zäsuren auf. Und, welch Wunder, das wirkt dann doch nicht gedankenüberfrachtet, sondern in der Hauptsache leicht hingetupft.

Bleiben wir kurz bei dieser Pastorale: Höchst anschaulich, wie Levit mit Links, also mit strenger Basslinie die rechte Hand (eine Choralmelodie) zur Besinnung zu rufen scheint. Das „ma non troppo“ des Finales nimmt Levit wirklich ernst, was ihm ein witziges Ausformulieren von Einzelheiten erlaubt. Erst in den letzten Takten zieht er alle Register seiner Fingerfertigkeit, wie überhaupt er in den Finalsätzen gerne auf Stretta-Überrumpelungen setzt. Aber eben auch – nehmen wir den dritten Satz der Mondscheinsonate: So viel Melos hinter scheinbar entfesselter Raserei, die immer durch Elegance gebändigt scheint.

Und wie geht ein Musik-Denker wie Igor Levit mit der Sonate G-Dur op. 31/1 um, die manche als Leichtgewicht einstufen? Da setzt er dem eröffnenden Vivace eins drauf, die heitere Unkompliziertheit bekommt etwas Keckes, Angriffiges. Das führt Levit dann folgerichtig fort, indem er die Variationen und Themenumspielungen im Andante grazioso so verhalten zwischen leiser Ironie und spontan sich entäußerndem Witz ansetzt. Da hätte man als Hörer öfter als einmal zu gerne laut aufgelacht.

Standing ovations sowieso, und daraufhin Besinnliches als Zugabe: Igor Levit erzählte, welchen Eindruck ein paar Stunden zuvor das Video von Anita Lasker-Wallfisch auf ihn gemacht habe. Im Jiddischen, so erklärte Levit, sei A Mensch nur ein Guter („das Gegenteil von Unmensch“) - und genau so heißt ein leicht jazziges, aber doch hintergründiges Stück von seinem schon betagten amerikanischen Freund und Pianisten-Kollegen Frederic Rzewski. Was man nicht alles nach Beethoven spielen kann...

Dieses Konzert und den Beethoven-Zyklus von Igor Levit als Ganzes kann man wie vieles andere von den Festspielen auf ARTE-TV nachhören
Bilder. dpk-krie

 

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