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Toscanini-Hof und Toscanini-Hinterhof

VERTRIEBENE JÜDISCHE FESTSPIEL-KÜNSTLER (6) / ARTURO TOSCANINI

17/08/20 Arturo Toscanini hatte seine weitere Mitwirkung an den Salzburger Festspielen von einem Um- oder Neubau des Festspielhauses abhängig gemacht. Ein Wunsch, dem nachzukommen man sich in Salzburg beeilte.

Von Gert Kerschbaumer

Berichtet wird, dass Landeshauptmann Franz Rehrl zum 70. Geburtstag des Dirigenten 1937 nach Mailand reiste, um dem Jubilar die Pläne für das neue Bühnenhaus zu überreichen und ihm den Dank des Landes und der Stadt Salzburg zu bekunden: Und er überbrachte die Botschaft der Politik, man werde den durch den Erweiterungsbau des Festspielhauses neu erstehenden Gebäudekomplex Toscanini-Hof benennen. Das Bild zeigt Toscanini und Landeshauptmann Rehrl bei einem Baustellenbesuch.

Das neue Bühnenhaus sollte also künftig den Namen Toscanini-Hof führen, keinesfalls der dahinterliegende schattseitige Hof. Es sollte eine Ehrung und keine Erniedrigung sein.

Nach dem glänzenden Verlauf der Salzburger Festspiele 1937 begann der Bau des Bühnenhauses: ein „Protzbau“, der nur dem „internationalen und jüdischen Festspielrummel“ diene, wetterte die nationalsozialistische Presse jenseits der Grenze. Die in Österreich noch verbotene NSDAP machte sich zum Anwalt des kleinen Mannes, schürte Neid und Hass auf alles Privilegierte, Weltbürgerliche, das beispielsweise Marlene Dietrich als Festspielgast verkörperte.

Im Rückblick wissen wir: Es war Maestro Toscaninis letzter Festspielsommer in Salzburg. Im Oktober 1937 dirigierte er aber noch einmal in Wien. Berichtet wird, dass er vor Beginn des philharmonischen Konzerts den Konzertmeister Arnold ROSÉ umarmte und küsste. Die Konzerteinnahmen kamen dem Baufonds des Salzburger Festspielhauses zugute.

Ende 1937 hatte das Programm der Salzburger Festspiele 1938 bereits Gestalt angenommen: vorgesehene festliche Eröffnung des neuen Bühnenhauses oder „Toscanini-Hofes“ am 23. Juli 1938 mit Mozarts Zauberflöte, natürlich unter Toscaninis Leitung. Er sollte überdies die Opern Falstaff, Fidelio, Meistersinger und erstmals Richard Wagners Tannhäuser dirigieren, somit insgesamt fünf Opern. Der Maestrissimo hätte demnach bei den Salzburger Festspielen 1938 olympische Höhen erreicht. Ihm gebührt aus anderen Gründen Respekt, Hochachtung.

Toscanini reagierte prompt auf das Diktat des Reichskanzlers Hitler vom 12. Februar 1938 auf dem Obersalzberg, noch ehe also die in Österreich verbotene NSDAP an die Macht kam: keine Mitwirkung an den Salzburger Festspielen unter nationalsozialistischen Machthabern!

Im deutsch-affinen Salzburg hinterließ die Absage Unverständnis. Am 4. März 1938 ist im Salzburger Volksblatt, das den Verdi-, Wagner- und Mozart-Dirigenten in vier Festspielsommern bejubelt hatte, zu lesen: Toscanini sei als „Deutschenhasser“, „Freimaurer und Judenfreund“ ohnehin untragbar für die Festspiele gewesen. Die Stigmatisierung gipfelte – vier Tage vor dem „Anschluss“ – in der Tilgung seines Namens: Es wird nun keinen Toscanini-Hof geben, der einen großen Namen verewigt hätte.
Toscanini, leuchtender Name des Leitsterns, dem die Salzburger Festspiele ihre internationale Strahlkraft verdanken, sollte ausgelöscht werden. Dafür gab es aber einen weiteren Grund: Der selektiven Aufmerksamkeit der Salzburger Presse scheint es nicht entgangen zu sein, dass Toscanini aus Solidarität mit vertriebenen Musikern im Dezember 1936 und April 1938 in Jerusalem und Tel Aviv dirigierte, was seinen Niederschlag in antisemitischen Spottversen eines Hauspoeten des Salzburger Volksblattes findet: Wo die Harfe Davids säuselt, / donnert fürder dir Applaus. / Toscanini, haargekräuselt, / endlich fühlst du dich zuhaus“, reimte Augustin Ableitner, genannt „Blasi“.

Über die Hintergründe blieben die Salzburger Zeitungsleser uninformiert. Sie erfuhren auch nichts über die Vorgänge im Orchester der Wiener Philharmoniker: Im März 1938 – ehe in Österreich die „Nürnberger Rassengesetze“ in Kraft traten – wurden fünfzehn Philharmoniker, zuvorderst Arnold Rosé als Konzertmeister, aus ihrem Orchester vertrieben. Fünf Philharmoniker wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Der Geiger Bronislaw Huberman, der es im politischen Wendejahr 1933 geschafft hatte, Toscanini nach Wien und damit auch nach Salzburg zu holen, gründete 1936 das Palestine Orchestra (seit 1948 Israel Philharmonic Orchestra), um jüdische Musiker und deren Familien vor der Verfolgung zu retten. Es gelang dank der Mitwirkung von Maestro Toscanini.

In Salzburg verblasste sein Leitstern von einst. Sein Name blieb noch dunkel in Erinnerung, da in den 1950er Jahren der Hinterhof des Salzburger Festspielhauses – ein zwischen Mauern und Felsen eingezwängter Asphaltfleck – den Platznamen Toscanini-Hof erhielt: keine „Ehrung“, sondern eine Erniedrigung auf Dauer. Arturo Toscanini tat gut daran, nicht mehr nach Salzburg zurückzukehren.

Die 28 Künstlerinnen und Künstler, für die morgen Montag (17. August) vor dem Haus für Mozart Gedenksteine verlegt werden. Die Festspiele haben die finanzielle Patenschaft übernommen. – www.stolpersteine-salzburg.at
Beim Festakt um 18 Uhr sprechen die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler, die Direktorin des jüdischen Museums Danielle Spera, der Historiker Gert Kerschbaumer, der die Biografien der 28 Künstlerinnen und Künstler recherchierte, und der Dirigent Daniel Barenboim.
Bilder: www.stolpersteine-salzburg.at (1); Stadtarchiv Salzburg (1); Gert Kerschbaumer (1)
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