Glamour mit starken politischen Signalen
VERTRIEBENE JÜDISCHE FESTSPIEL-KÜNSTLER (5) / ARTURO TOSCANINI
16/08/20 Auf die Frage, wie viele Juden er in seinem Orchester beschäftige, soll Arturo Toscanini erwidert haben: Das weiß ich nicht, denn ich frage meine Musiker nicht nach ihrer Abstammung, bei mir zählt nur ihre Begabung und ihre Leistung. – Der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer über den Dirigenten, der den Salzburger Festspielen internationale Strahlkraft schenkte.
Von Gert Kerschbaumer
Arturo Toscanini (1867-1957) hatte längst Weltruhm erlangt, als er erstmals im Sommer 1930 in Bayreuth am Pult stand. Glaubhaft ist, dass sich deshalb „die Scheinwerfer des Weltinteresses“ stärker auf die Bayreuther Festspiele richteten. Sehr zum Leidwesen der Salzburger Festspiele, die Presseberichten zufolge im Krisenjahr 1930 vergeblich versucht hatten, den Dirigenten für sich zu gewinnen. Wien hatte Vorrang.
Freilich musste Toscanini die für Ende Mai 1931 dort geplanten Konzerte mit den Wiener Philharmonikern absagen, als er in Bologna wegen seiner Weigerung, die faschistische Hymne Giovinezza zu dirigieren, attackiert wurde und eine Zeit lang unter Hausarrest stand. Er konnte aber im Sommer 1931 wieder in Bayreuth dirigieren. Im Jahr darauf entfielen die Bayreuther Festspiele. Ihre Direktorin Winifred Wagner, Duz-Freundin Adolf Hitlers, rüstete sich für das 50. Todesjahr Richard Wagners.
Im Wagner-Jahr 1933 ging es Schlag auf Schlag: Adolf Hitlers Machtantritt am 30. Jänner, sein Judenboykott am 1. April und am selben Tag das an Hitler gerichtete Protesttelegramm von zwölf Musikern aus den USA, an erster Stelle Toscanini als Musikdirektor der New Yorker Philharmoniker, schließlich Toscaninis Absage an Bayreuth: keine Mitwirkung unter Deutschlands neuen Machthabern – ein kulturpolitischer Paukenschlag.
Toscaninis Wiedererscheinen am Pult der Wiener Philharmoniker im Herbst 1933 in Wien – Bundespräsident Miklas und Bundeskanzler Dollfuß saßen im Publikum - erwies sich als Staatsakt des autoritären Österreich. Der Dirigent gab dann auch die Zusage, an den Salzburger Festspielen 1934 mitzuwirken. Das war von politischer Brisanz, denn Salzburg lag an der Grenze zum Deutschen Reich, unweit von Berchtesgaden in der Nachbarschaft des Reichskanzlers Hitler – eine politisch und emotional hoch aufgeladene Topografie mit wirkmächtigem Führer-Mythos.
Die Salzburger Festspiele, die wegen des deutschen Tourismusboykotts, der Terroranschläge und des „Juliputsches“ schon vor ihrer Absage standen, konnten unter Toscaninis Leadership enorm an internationaler Strahlkraft gewinnen. Am 23. August 1934 hielt der Dirigent wie ein messianischer König Einzug in das Festspielhaus: „Unter allen äußeren Ehren einer großen Festspielsensation – bis auf den letzten Platz garantiert ausverkauftes Haus, größtenteils vornehmes englisches, italienisches und französisches Publikum, in der Pause Modeschau von Abendtoiletten der Pariser, Londoner und römischen Ateliers – fand am Donnerstag das erste Toscanini-Konzert statt. Über die Ekstase des Publikums, die italienische Hitzegrade annahm, berichtete die Radioübertragung. Toscanini wurde wie ein König seines Faches gefeiert.“ So das Salzburger Volksblatt.
Die Salzburger Konzerte waren trotz des deutschen Boykotts stärker als zuvor frequentiert, dank der internationalen und jüdischen Solidarität. Das zeigt auch Toscaninis zweites Konzert am 26. August 1934, das wegen der ungewöhnlich starken Nachfrage nicht wie vorgesehen im Mozarteum stattfand, sondern im größeren Festspielhaus. Das Konzert begann mit Wagners Faust-Ouvertüre und schloss mit dem Meistersinger-Vorspiel. Im Mittelteil sang Lotte Lehmann Wagner-Lieder. Im Publikum saß Stefan Zweig, der am Vortag Toscanini und Bruno Walter (Bild) empfangen hatte – seine letzten illustren Gäste im Haus Kapuzinerberg 5.
Nach dem florierenden Festspielsommer äußerte Toscanini unmissverständlich seinen Wunsch für die nächsten Festspiele: Verdis Falstaff – andernfalls kein Toscanini. Er beharrte auf Mitgliedern seines ehemaligen Ensembles an der Mailänder Scala und den Wiener Philharmonikern. Für die Choreografie sorgte Margarete Wallmann als Ballettchefin der Wiener Staatsoper. Premiere war am 29. Juli 1935 im Festspielhaus: „In der Theatergeschichte Österreichs wird dieser Opernabend der Salzburger Festspiele 1935 als etwas Einmaliges und vielleicht nie Wiederkehrendes verzeichnet sein: Was Arturo Toscanini Menschen aus allen Weltgegenden mit seinem Musizieren beschert hat, war zugleich Traum und Erfüllung heiteren Musiktheaters.“ So das Neue Wiener Journal.
Das Faszinosum hieß Arturo Toscanini. Sein Publikum nahm sogar das Salzburger Festspielhaus als „armselige, klägliche Festbühne“ in Kauf. Zum Vergleich: Der Wiener Falstaff, der unter Clemens Krauss im Dezember 1934 an der Staatsoper gespielt wurde, war trotz der neuen Drehbühne keine Sensation, im Gegenteil. Es kam zu lautstarken Protesten gegen Clemens Krauss. Da er daraufhin in die reichsdeutsche Metropole Berlin abwanderte, war Beethovens Fidelio in Salzburg neu zu besetzen. Von der Premiere schrieb Stefan Zweig als Toscaninis „Fidelio-Wunder“.
Liebend gerne hätte Toscanini in Bayreuth Die Meistersinger dirigiert, doch das blieb ihm nach seiner Absage im Wagner-Jahr 1933 verwehrt. 1936 ließ sich sein Lebenswunsch in Salzburg realisieren. Derweilen diente Richard Wagners Bayreuth als nationalsozialistische Kultstätte – „Hitlers Hoftheater“, ätzte Thomas Mann. Die Festspielstadt Salzburg positionierte sich als „Gegen-Bayreuth“ (allerdings schon seit dem Festspielsommer 1933 mit Tristan und Isolde unter Bruno Walter).
Im Festspielsommer 1936 hatte Toscanini außer den Meistersingern noch Falstaff, Fidelio und zwei Konzerte dirigiert. Für die zeitgenössische Kritik war es dennoch keine Überraschung, als 1937 eine weitere Oper unter seiner Leitung hinzukam: Mozarts Zauberflöte. 1937 dirigierte Toscanini somit vier Opern: Falstaff, Fidelio und Die Meistersinger wie im Vorjahr und zum ersten Mal Mozarts Zauberflöte. Beachtenswert ist ferner, dass Toscanini am 24. August 1937 ein Sonderkonzert zugunsten des Baufonds des Salzburger Festspielhauses gab. Demnach herrschte zu diesem Zeitpunkt bereits Gewissheit: Das Festspielhaus, das „weder Fest noch Bühne“ war, bloß „armselig und kläglich“, hatte ausgedient. (Wird fortgesetzt)