Ein menschliches, kein feministisches Thema
HINTERGRUND / EVERYWOMAN
15/08/20 Zusammen ins Ungewisse gehen und darauf vertrauen, dass etwas entsteht, so beschreibt Regisseur und Autor Milo Rau die Zusammenarbeit mit Schauspielerin und Autorin Ursina Lardi. Die von den Salzburger Festspielen in Auftrag gegebene Uraufführung Everywoman ist die dritte gemeinsame Arbeit der beiden Künstler.
Von Anne Zeuner
„Wir sind beide nicht an Sicherheit interessiert“, sagt Ursina Lardi. „Wir wollen wissen, wie weit wir gehen können und dazu gehört auch das Aushalten von Ratlosigkeit und falls es sein muss zu akzeptieren, dass man alles verwerfen muss und von vorne beginnt.“ Genau so sei es ihnen bei der Erarbeitung von Everywoman Ergangen. Ihre Recherchearbeit im Amazonasgebiet in Brasilien mussten sie im März wegen der Corona-Pandemie abbrechen. „Wir hatten zu diesem Zeitpunkt einfach nicht genügend Material“, sagt Milo Rau, der – wie er es formuliert – nicht auf der dunklen Probebühne Dinge erarbeiten möchte, sondern seine Stücke aus echten Begegnungen entwickelt.
Die erste Idee einer künstlerischen Annäherung an Hugo von Hofmannsthals Jedermann sei gewesen, die „Werke“ zu untersuchen und damit die Frage, auf was Menschen am Ende ihres Lebens zurückblicken und was sie zurückließen. Er sei selbst verwundert gewesen, dass die Idee, sich mit dem Tod und seiner Unüberwindbarkeit auseinander zu setzen, erst so spät gekommen sei, sagt Milo Rau. Es sei Glück und Zufall gewesen, dass die beiden bei weiteren Recherchen in Hospizzentren auf Helga Bedau getroffen sind, die im Stück durch Video-Einspielungen in eine Art Dialog innerhalb des Monologs von Schauspielerin Ursina Lardi tritt.
„Helga Bedau ist unglaublich offen und ehrlich“, sagt Ursina Lardi. Sie mache gerade eine Chemotherapie durch und habe alle Erfahrungen und Gedanken offen auf den Tisch gelegt. Gerade, so sagt die Schauspielerin, sei sie nur im Machen und habe noch keine Zeit für die Reflexion des Ganzen. „Ich habe noch keine Ahnung, was es mit mir macht, wenn ich jeden Abend mit Frau Bedau in Dialog trete, der es vielleicht währenddessen schlechter gehen wird oder die vielleicht gar nicht mehr unter uns sein wird“, sagt sie. „Ich bin unglaublich dankbar für ihr Geschenk an uns. Ich bin nicht allein auf der Bühne.“
In seinem zehn Punkte umfassenden Genter Manifest hat Milo Rau in einem der Punkte festgelegt, dass mindestens ein Laie zusammen mit den Schauspielern auf der Bühne stehen müsse. Die Begegnung zwischen Laie und Schauspieler sei für ihn so interessant, weil der Stücktext dadurch nicht aus dem Schrank gezogen werden könne. Er erarbeite den Text aus echten Gesprächen heraus, in diesem Falle mit Helga Bedau.
Wie macht man nun den Schritt von Jedermann zu Everywoman? „Der Jedermann bei Hofmannsthal ist ein außergewöhnlicher Mensch, der sich in der jetzigen Inszenierung sogar den Dom kaufen kann. Wir sehen ihn aus einer barocken Weltsicht heraus stürzen“, sagt Milo Rau. Hofmannsthal lasse Allegorien auftreten, denen man als Zuseher mit vorgefertigtem Wissen begegne. Helga Bedau allerdings sei eine Unwissende. „Genau wie wir“, sagt der Autor. „Wir scheitern alle an der Frage des Todes. Wir nutzen unsere Zeit oft für Schwachsinn. Und wenn das Todesglöckchen erklingt, versuchen wir schnell noch den Sinn des Todes zu verstehen.“ Er sei froh, dass er Zeit gehabt habe, diesen langen Recherche-Weg zu gehen und die Unwissenheit währenddessen aushalten zu müssen. Das entstandene Stück, so Milo Rau, komme der Erlösung gleich. „Ich bin selbst ein sehr weltlicher Mensch“, versichert Milo Rau. „Ich glaube nicht an Metaphysik, aber an Solidarität und Menschlichkeit. Mich interessiert die Frage, was wir zusammen im Leben sein können, so dass der Tod akzeptabel wird.“
„Beim Thema Tod vertreten wir verschiedene Positionen, die wir in unserem Stück versuchen miteinander zu verbinden“, sagt Ursina Lardi. „Wir sterben ungetröstet! Ich leide darunter, mir fehlt der Glaube.“ Sie habe sich in ihrem Leben schon viel mit dem Tod beschäftigt und hoffe darauf, dass sich das Publikum beim Zusehen der eigenen Sterblichkeit bewusst werde, denn das Leben sei ein anderes, wenn man sich dessen bewusst sei. Mit dem Stück, so ergänzt Milo Rau, wolle er in diesen Raum vorstoßen, der auf absolute Weise leer sei. Es gebe keine Erkenntnisse über den Tod, jeder wisse zwar, dass er sterben müsse und dennoch verdränge man das Thema individuell und kulturell.
Es sei allerhöchste Zeit gewesen, dass der Jedermann als menschliches Thema behandelt werde, sagt Milo Rau. „Wir wollten gar nicht erst anfangen, daraus ein feministisches Manifest zu machen.“ Vielmehr solle es darum gehen, aus dem Theater der großen Geste ein intimes, persönliches Stück zu machen. Bei dem Wort Frauenthema grusele sie sich, bekräftigt Schauspielerin Ursina Lardi. Das im Titel eingeschriebene Feminismus-Thema wollten beide gar nicht erst aufnehmen. „Genau das ist Feminismus für mich“, sagt die Autorin und Schauspielerin. Es gehe nicht darum, dass sie allein auf der Bühne stehe. „Wir machen das zusammen. Fertig. – Wir sind nicht mehr in der Phase, in der man sagen kann: Jetzt sind auch mal die Frauen dran.“
Everywoman wird am Mittwoch (19.8.) auf der Szene Salzburg uraufgeführt, weitere Vorstellungen am 20., 22., 23., 27. und 28. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner